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SİBEL

Die 25-jährige Sibel (Damla Sönmez) lebt mit ihrem Vater Emin (Emin Gürsoy) und ihrer Schwester Fatma (Elit Iscan) in einem abgelegenen Dorf in einer ländlichen Gegend in den Bergen des Schwarzen Meeres der Türkei. Sibel ist stumm, kann sich nur mit der traditionellen Pfeifsprache der Region verständigen. Und weil sie kein Kopftuch trägt, sondern stattdessen mit einem Gewehr über der Schulter ihre Besorgungen erledigt, sieht sie sich tagtäglich Anfeindungen ausgesetzt. Ein Umstand, den ihre missgünstige kleine Schwester als unfaire Bevorteilung empfindet. Denn weil Sibel aufgrund ihrer Behinderung von ihrer Gemeinde nie für heiratsfähig befunden wurde, gewährt ihr Vater ihr Freiheiten, die nicht üblich sind für die Frauen des Dorfs.

Von den anderen Dorfbewohnern ausgestoßen, jagt sie unablässig einen Wolf, der im benachbarten Wald herumstreunen soll und bei den Frauen des Dorfes Ängste und Fantasien auslöst. Wenn sie ihn erlegt, werden ihr die Dorfbewohner es danken, hofft Sibel.

Ihre einzige Freundin ist die alte Narin (Meral Çetinkaya), der sie Lebensmittel bringt. Sibel kümmert sich zuhause um den Haushalt, sie arbeitet fleißig auf den Feldern mit. Obwohl sie auf Konfrontationskurs geht und versucht, ihren Kopf durchzusetzen, insgeheim sehnt sie sich durchaus nach Anerkennung und Nähe.

Sibel schreckt während einem ihrer Jagdausflüge einen jungen Mann in seinem Versteck auf, der vor dem Wehrdienst geflüchtet ist. Ali (Erkan Kolçak Köstendil) zieht bei dem Gerangel den Kürzeren und fällt in eine Grube, wobei er sich das Bein verletzt. Endet ihre erste Begegnung noch in einem Kampf, beginnt sie daraufhin Ali in einer abgelegenen Waldhütte zu pflegen

Schlimmer wird ihre Situation, als sich dann das Gerücht verbreitet, Sibel würde sich im naheliegenden Wald mit einem Terroristen treffen. Denn nun ist sie sogar tätlicher und lebensbedrohlicher Angriffe ausgesetzt und noch dazu steht auch ihr Vater ihr nun nicht mehr zur Seite, der sie bislang immer beschützt hatte. Deserteur Ali ist der Erste, der sie mit anderen Augen sieht.

Der Film konnte bei seinem Festival-Lauf im Jahr 2018 einige Preise abräumen. So gewann das Drama einige Auszeichnungen etwa den Hamburg Producers Award des Hamburg Film Festival, den renommierten FIPRESCI Preis des Locarno International Film Festival sowie den Preis der Ökumenischen Jury — ebenfalls in Locarno u.a. für "Beste Darstellerin" oder "Beste Europäische Kino-Koproduktion".

FAZIT: Ein Mädchen, das alleine durch den Wald streift, in dem ein böser Wolf hausen soll – unweigerlich verbindet man diese Geschichte mit Rotkäppchen. Dieser außergewöhnliche Film vom türkisch-französische Filmemacher-Paar Çağla Zencirci und Guillaume Giovanetti vielmehr viel über unsere Welt zu erzählen. Er erzählt aber die Geschichte von der Selbstbehauptung einer jungen Frau in einer konservativen Gesellschaft der heutigen Türkei, einer stummen Emanzipation und einer rückwärts gekehrten Gemeinschaft, die sich allem Neuen, Fremden und Individuellen verschließt. Sibel ist emanzipiert – nur ihr Umfeld mit der traditionellen Folklore muss es noch werden. Schöne Landschaften, große Kinobilder, atmosphärischer Dichte. Ein Film über die Frau, die den Wolf jagt. Und die schafft es auch, in den anderthalb Stunden jede Menge zu sagen, ohne ein einziges Wort dafür zu brauchen. Ein sinnlich inszeniertes Drama, getragen von einer charismatischen Hauptdarstellerin.

 
Gesamtbewertung:

Bundesstart: 27. Dezember 2018 Deutschland, Frankreich, Türkei, Luxemburg

Genre: Drama

Länge: 95 Min

Darsteller: Damla Sönmez, Emin Gürsoy, Erkan Kolçak Köstendil
Regie: Guillaume Giovanetti, Çağla Zencirci

FSK:

Action:
Humor:
Gefühl:
Spannung:
Anspruch: