Eine Mauer in der o2 World Hamburg

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Hamburg- Roger Waters Inszenierung des über 30 Jahre alten Pink Floyd-Klassikers "The Wall" ist eine gewaltiges, manchmal verstörendes, manchmal überwältigendes Erlebnis. Nein, es ist kein Konzert. Es ist eine mehr als zweistündige grandios pompöse Multimedia-Show des weltweit meistverkauften Doppel-Albums der Welt, die Verkaufszahl beträgt 30 Millionen Stück. Am 21. Juli 1990 wurde die Show in Berlin kurz nach der Wiedervereinigung auf dem Potsdamer Platz vor 300.000 Zuschauern mit Gästen wie den Scorpions, Bryan Adams, Ute Lemper, Cyndi Lauper, The Hooters und vielen anderen aufgeführt.

Es ist eine Mischung aus brillantem 7.1 Surround-Klang in infernalischer Lautstärke für die akustische Untermalung virtueller Erdbeben, Hubschraubern und abstürzenden Flugzeugen, Hightech-Video-Präsentationen, spektakulärer Computeranimationen, Videoprojektionen, einer grandiosen Lichtshow mit über 300 Par-Ligths und 100 Movingheads auf und über der Bühne, Zeichentrickfilm, Pyro-Knalleffekten, die alles bisher Gesehene in den Schatten stellt. The Wall ist aber auch minimalistisch: keine Vorgruppe, kein Best of und keine echten Zugaben. 

Das Doppel-Album The Wall erzählt die Geschichte von "Pink", einem narzistischen Rockstar, der sich von der Welt nach letztendlichem Drogenkonsum und Wahnvorstellungen mit einer Mauer nach außen abkapselt. Es ist die Autobiographie von Pink Floyd Mitbegründer Roger Waters. Diese Geschichte wurde genutzt um mit Bildern und Parolen gegen Kapitalismus, Krieg, Überwachung, Entmenschlichung und "Staatsterrorismus" zu polemisieren.

Schon der Beginn der Aufführung weckt Assoziationen an die raffinierten Inszenierungen nationalsozialistischer Reichsparteitage. Die Mauer, die Pink dazu benutzte, um sich von der Welt abzuschotten, diente in dieser gewaltigen, eindrucksvollen Show als Projektionsfläche. Stein für Stein wurde sie zwischen Zuschauer und Musiker aufgebaut. Unzählige Bilder und Animationen, die eine Botschaft des Widerstands und des Protests vermittelten, wurden aus unzähligen Beamern darauf projiziert. Sobald ein Stein eingesetzt wurde, begann er zu leuchten und war Teil der ganzen Mauer.

Die Traumata des 2. Weltkriegs, Massenmord, Kriegswaisen und Faschismus aber auch eigene Erlebnisse wie eine übermächtige Mutter, despotische Lehrer während der Schulzeit, schwierige Beziehungen, gescheiterte Ehe (Young Lust, Don´t Leave me Now) und die traurige Leere eines Rockstarlebens führt Waters in seiner gigantischen Show zusammen.

Beginnend mit dem Tod seines Vaters Eric Fletcher Waters (Another Brick in the Wall Part I, When the Tigers Broke Free), der nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war. Als eine der wenigen Shows nutzt The Wall "dreidimensionale" Soundeffekte, die aus den hintersten Teilen der Arena zu stammen scheinen. Eine Trompete, Maschinengewehrfeuer, Flugzeuglärm, Bomben und ein Flugzeug, das hinter der halb aufgebauten Mauer abstürzt.

Die Kindheit von "Pink" bzw. Roger Waters wurde durch eine dominante Mutter (Mother) und erbarmungslose Lehrer bestimmt. Gewaltige aufblasbare Figuren mit finster leuchtenden Augen bei Another Brick In The Wall stellten diese dar. Ein Kinderchor kam dazu und sang "We don't need no education!“. So sind sowohl "Mother" (Roger singt mit seinem 30-Jahre jüngeren Ich aus einer damaligen Wall-Show ein Duett über die Leinwand) als auch "Young Lust" zum Weinen schön. Das Telefon des nicht erwiderten R-Calls knackt so laut und klar durch das Stadion, dass man erschauderte. Diese Momente machen die Show zu einem Ereignis und man vergaß rasch die schwächeren Stellen. 

 

In "Goodbye Blue Sky" warfen videoanimierte Flugzeuge religiöse (Kreuze, Davidsterne, Halbmond) oder ideologische Symbole (wie Hammer und Sichel und Mercedes-Benz-Sterne) ab. Zum Ende des ersten Sets war die Mauer ganz geschlossen.

In der Pause bestaunen die Zuschauer das errichtete Werk der geschlossenen Bühne. Viele in Weltkriegen getötete Menschen wurden an die Mauer projiziert. Nach einer Pause wurde " Hey You" hinter der Mauer performt und für den Zuschauer nichtmehr sichtbar. Für " Noboby Home" klappt sich ein Wohnzimmer aus der Mauer auf, in dem Roger Waters Platz nahm. Bei "Comfortably Numb" thronte hoch über der Bühne Gitarrist Dave Kilminister und spielte seinen feuriges Gitarrensolo. Ein routinierte Leihmusiker, der den Part von David Gilmour übernahm, von Pink Floyd hatte sich Waters schon 1985 im Streit getrennt.

Roger Waters legte einen langen schwarzen Ledermantel und Sonnenbrille an. Mit roter Armbinde imitiert Waters einen finster charismatischen Diktator bei "In The Flesh" - und als die Zuschauer in der ausverkauften Arena aus den Sitzen sprangen um ihm zuzujubeln, das konnte man schon für einen Augenblick etwas nachdenklich werden. Flaggenträger schwenken ein Hammer-Emblem, ein riesiges Schwein flog durch das Stadion und Roger Waters feuerte mit der Imitation eines Maschinengewehrs in die Menge.

Das Publikum riss eine riesige Bilderflut gepaart mit Dröhnen und Hämmern der Musik mit. Im Innenraum erheben sich die Zuschauer, die ehemalige Pink-Floyd-Bassist zum Mitklatschen animierte so wie ein manipulativer Diktator. Das ist die Szenerie kurz vor dem Zusammenbruch, der mit den klassischen Animationen von Gerald Scarfe illustriert wurde.

Dann kollabierte die 11 Meter hohe und 73 Meter breite Mauer mit gewaltigem Getöse (The Trial) und der 67-jährige Waters trat mit seiner Band auf die Bühne. Gemeinsam spielten sie " Outside The Wall" mit akustischen Instrumenten wie Gitarren, Banjo, Mandoline, Akkordeon und Trompete.

Es ist vorbei. Die Menschheit hatte ihn wieder. Und mit ihm sein Manifest. Allerdings brach die letzte Melodie an genau der Stelle ab, an der das Album begonnen hat: Vielleicht beginnt Pinks Leidensweg also auch einfach wieder von vorn.
"Wahnsinn!", "Hammer!", "Mega geil!","Gigantisch!" "Super geniales Event!" Vielleicht sind die aufgeschnappten Stimmen nach dem Auftritt von Roger Waters in der O2 World aussagekräftiger als jede tiefer schürfende Konzertkritik. Die Technik und der Sound waren an diesem Abend natürlich perfekt, keiner hatte etwas anderes erwartet. Überall glückliche Gesichter, obwohl man ganz erschlagen war von soviel optischer und akustischer Überreizung.
Einem Künstler wie Roger Waters Emotionalität, Schwäche oder psychischer Erkrankung vorzuwerfen, wäre sinnlos. Gerade diese Gefühle sind absolut subjektiv und für Fans der Grund lebenslanger Treue. Worüber singen eigentlich die großen Bands unserer Zeit?