Uelzen, Samstag, 28.06.25 – Der Sonnabend lief erneut unter dem Motto „Neue Töne“ und bot einen Mix aus Hip-Hop, Rap und Elektro. Deichkind, Finch, Bausa, 257ers, Twocolors und anaïs traten auf. Zsá Zsá hatte abgesagt. Die Zielgruppe ist dabei eindeutig ein jüngeres Publikum als am Vortag. Etwa 7000 Zuschauer waren erschienen. Nach dem doch kühleren ersten Festivaltag zeigte sich das Wetter zunächst mit sonnigen 26 Grad von der besten Seite, um im Laufe des Tages wolkiger zu werden.
Mit sanfter Melancholie auf der Überholspur
Pünktlich um 14 Uhr ging es los. Das Jahr 2022 war ein wahrer Höhenflug für die vielversprechende Newcomerin anaïs, die ab und zu auch als Model vor der Kamera steht. Die 22-jährige belgisch-deutsche Künstler veröffentlichte ihre Debüt-EP „44“ und trat als Support-Act für namhafte Künstler wie Giant Rooks, Nina Chuba, Provinz, Oscar Anton aber auch Bastille auf und konnte ordentlich Bühnenerfahrung sammeln.
Anaïs Musik hat Seele, die sie mit ihrer wandelbaren Stimme auf den coolen Bass der verträumten Sounds ihrer Songs legt. Von sanfter Piano-Ballade bis zu energetischen Dance-Tracks mit Rap-Einlage und sich trotzdem treu bleiben, das kann die Sängerin. „Hold On“ und „Isn’t It Something“ oder die herzzerreißende Ballade „All I Think Of Ends With You“ sind Hits von ihr, neuerdings singt sie auch in Deutsch. Mit „Wirbelwind“ wirbelte die Singer-Songwriterin erstmals in ihrer Muttersprache die Streamingportale auf. Für anais war es das erste Festival in diesem Jahr.
anaïs © Nordevents
Caruso trifft Rammstein
Twocolors ist ein deutsches Electronic-Pop Duo, bestehend aus Emil Reinke und Pierre-Angelo Papaccio. Sie sind in Berlin geboren und aufgewachsen und ihre Musik, eine Mischung aus elektronischer Tanzmusik wie Dance und Techno mit Pop, ist stark von der Berliner Clubkultur beeinflusst. Dabei legen sie den Fokus auf Gegensätze: zum einen melodiöse Sounds und zum anderen dunklere, härtere Beats.
Pierre-Angelo ist mit dem Opernsänger Enrico Caruso verwandt, Emil Reinke wiederum ist der Sohn des Gitarristen Paul Landers von Rammstein. Beide kapseln sich musikalisch von ihren bekannten Vätern ab.
Ihre ersten Songs wie „Follow You“ veröffentlichten Twocolors unter einem eigenen Label im Jahr 2015. „Passion“ (2021), „Heavy Metal Love“ (2022) und „Cynical“ (2023) durften in der Setlist nicht fehlen. Mit dem Song „Lovefool“, der am 08. Mai erschienen ist, präsentiert das Berliner Duo seinen neuesten Track und kreiert eine außergewöhnliche Version des The Cardigans-Klassikers aus den 90er Jahren.
Heute sind die Umbauphasen im Vergleich zum gestrigen Tag mit 10 – 15 Minuten wesentlich kürzer. Unter dem Jubel der Fans betraten die beiden Jungs die Bühne. Der erste Song war „Cynical“, ein Remake des Safri-Duo-Hits. Landers am Synthie in Kunststoffrüstung mit einer Art LED-Anker auf der Brust und Papaccio an der verchromten Gitarre.
Twocolors © Nordevents
Spaß-Rap-Veteranen aus Essen
Nach einer Erfolgsgeschichte voller humorvoller Texte und einzigartiger Beats zeigten die Jungs des Rap-Duo 257ers aus Essen, dass sie immer noch begeistern können. Daniel Schneider und Mike Rohleder sind Garant für Crossover Hip-Hop und gnadenlosem Spaß. Und das Duo wurde 18 Jahre alt und machen klar: Erwachsenwerden ist kein Grund, leise zu sein – sondern eher eine neue Ausrede, um richtig einen draufzumachen.
Für Stimmung wurde gesorgt. Gleich während ihres ersten Liedes kamen Mitarbeiter in Super Mario Kostümen in den Bühnengraben eingelaufen. Der Spaß konnte beginnen: Eine große Schaumkanone wurde auf die Zuschauer gerichtet. Kopf bis Fuß mit Schaum bedeckt gab es für die ersten Reihen kein Halten mehr. Kaum war der Schaum etwas weniger geworden, wurde ein langes, grünes Kunststoffrohr gereicht. Bierdusche war angesagt. Oben aus einem Kanister das Bier rein, unten die ersten Reihen mit offenen Mündern- Freibier für alle!
Auch eine übergroße Figur sorgte zwischenzeitlich für Erheiterung. „Cotton Eye Joe” von den Rednex, „Macarona” von Los del Rio oder auch mal ein Döp Däp Döp von Scooter, es wurde gecovert was das Zeug hielt, Hauptsache es brachte Stimmung. Wenn das mal keine Sommerparty war, da blieb kein Fan ruhig stehen. Denn die Essener bleiben sich treu: skurril, laut, tanzbar und mit einer Portion Wahnsinn, die jede Location in ein Tollhaus verwandelt.
257ers © Nordevents
Rap’n’Soul in der Almased Arena
Vor knapp einem Jahr trat der Bietigheimer Rapper Bausa, der eigentlich Julian Otto heißt, gegen den Schauspieler und Sangeskollegen Emilio Sakraya bei der ProSieben-Show „Schlag den Star“ an. Dabei sorgte nicht nur sein erkämpfter Sieg in der Zocker-Sendung für Beachtung, sondern auch das politische Statement gegen Populismus („FCK AFD“) auf seinem T-Shirt.
Seine Alben „Dreifarbenhaus“, „Farben“ und „100 Pro“ landeten gleichermaßen in den Top Ten der Albumcharts. Zwischendurch tourte mit eher kleinen Konzerten mit seiner „Stimme der Vernunft”– Tour durch intime Clubs, um dem Publikum näher zu sein. Nun stand der 35-jährige Musiker wieder auf der großen Bühne. In der Būhnenmitte war ein begehbares 4 m hohes Podest mit integrierter LED-Wand aufgebaut. Immer wieder schoßen hohe Feuerfontänen in die Luft. Songs wie „Was du Liebe nennst“,„Vermisst“, „Baron“ oder „Stoff“ erfreuten die Anhänger des Sprechgesangs.
Bause erzählte, dass es ihm schwerfällt, in diesen Wochen fröhlich aufzutreten, wegen der Situation in Palästina. Er widmete dem Thema seinen Song „Der Faktor Mensch”.
Bausa © Nordevents
Rap zwischen Hip-Hop und Ballermann
Der gebürtige Brandenburger Finch, der bürgerlich Nils Wehowsky heißt, pflegt in seinen Songs auch immer wieder das, was man früher mal „Porno-Rap“ getauft hat und sich selbst als vulgärer ostdeutscher Oberprolet. Gern wird von ihm auch ironisch Ostalgie vorgetragen.
Man sah sie überall, die Fans mit den Finch Asozial- T-Shirts. Der Vorhang fiel, ein Boxring war in der Bühnenmitte zu erkennen. In schwarz-weiß gestreiften Schiedsrichter-Trikots standen Musiker, Sängerinnen und Stagefotografen verteilt auf der Bühne.
Finch stieg in Siegerpose auf die Seile einer Boxecke und warf seine Mütze ins Publikum. Ein Junge in der ersten Reihe fing sie und konnte sein Glück kaum fassen. Das erste Lied von Finch hieß „Never Stop“. Zwischendurch gab Finch einen Song mitten aus dem Publikum zum Besten. Dann demonstrierte der vermeintliche „Champignon“, dass er mit Handkantenschlag ein Billardqueue, ein Baseballschläger oder eine angebliche Steinplatte zerschlagen kann. Auch gab es zwei Wrestling-Runden mit „Deadman Dieter“. „Auf die Fresse“, skandierten Finch und Publikum.
„Finchiboy“, „Herzalarm“, „Kamikaze“, „Kai hat frei“ und natürlich „Abfahrt“, Finch hatte alle Songs seiner jetzt zehnjährigen Karriere dabei. Neben seinen flapsigen Sprüchen kam auch Finchs musikalische Performance gut an. Wer sich von allerlei „versauten“ Texten nicht abschrecken lässt, erlebte bei Finch eine große Party-Sause.
Finch © Nordevents
Da der Boxring erst von den Stagehands aufwändig abgebaut und die Bühnendeko für Deichkind wieder aufgebaut werden musste, gab es eine 75-minütige Umbaupause. Während dieser Zeit sorgte DJ Schwiegersohn für musikalische Untermalung. Die Fans nutzen die Pause, um sich zu stärken.
Kunst-Performance und Techno-Oper
Die Hamburger Formation Deichkind, das sind Philipp Grütering, Henning Besser und Sebastian „Porky“ Dürre. Angefangen hat das Musikerkollektiv mit Hip-Hop. Mittlerweile begeistert es eher als Gesamtkunstwerk die Massen. So auch am Samstag mit einer großartigen Performance für ihre mehr als 7.000 Fans. Bereits im vergangenen Jahr ist Deichkinds Album „Neues vom Dauerzustand“ erschienen, mit dem die Band immer noch live unterwegs ist.
Deichkind © Nordevents
Alles wirkt wie eine große Performance. Der weiße Vorhang öffnet sich nach einem ausgedehnten Intro in der Mitte, Personen mit Masken stehen in einer Reihe und bewegen die Arme, Bühnenelemente bewegten sich hin und her. Großartig gestylt schreiten die drei Bandmitglieder über die Bühne, unterstützt von Tänzern/Darstellern. Dazu kommen sehenswerte Choreografien, wie man sie sonst nur vom Tanztheater kennt, dazu Pyro und Konfetti.
Mal steht ein Pseudogitarrist mit einer Gitarre aus Smartphones auf einem Podest, mal reitet ein Sänger mit langer goldener Kette um sich geschlungen zum Song „Auch im Bentley wird geweint“ auf einer riesengroßen, knallroten Gucci-Tasche über die Bühne. Ist anfänglich alles weiß-rot gehalten, wechselt nach einigen Songs in die Farben schwarz-weiß. „Wer sagt denn das?“ stand passend zum Song auf den umherwandernden Bühnenelementen, Shirts und Hosen der Deichkind-Akteure. Arbeit nervt!“ hieß es vor gelb-schwarzen Bühnenbildern. In und auf einem riesigen Fass wurden Deichkind zu ihrem Song „Illegale Fans“ durch die Menge getragen zum Ende des Konzertes auch in einem Schlauchboot.
Gespielt wurden z.B. Songs wie „Bon Voyage“, dem bereits ein Vierteljahrhundert alten Hit aus der Anfangszeit von Deichkind. „Bück dich hoch“, „Arbeit nervt“, „Leider geil“: Es sind all diese Lieder, die sich im Alltag längst zu geflügelten Worten entwickelt haben.
Aus ihrer politischen Haltung machen die Hamburger keinen Hehl. Themen wie der Klimawandel und der Krieg in Europa finden mit kurzen, eingängigen Phrasen statt.
Nachdem das Publikom „Zugabe!“, forderte, eskaliert Deichkind zum Ende mit „Krawall und Remmidemmi“.
Ein großes Lob nicht nur an die Performance für eine Band, die sich immer neu erfindet, sondern an das komplette Ensemble: Kostümbildner:innen, Szenenbildner:innen, Techniker:innen, Securitys und Ton- und Lichttechniker:innen. Aber ebenso auch an das Publikum mit bewundernswertem Synchronhüpfen und Textsicherheit. Deichkind gehören einfach zu den besten deutschen Live-Bands.
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