Falling in Reverse in Hamburg – Zwischen musikalischem Feuerwerk und moralischer Schieflage

Sascha Beckmann

Hamburg, 16.06.2025 – Am gestrigen Montagabend spielte Falling in Reverse in der Barclays Arena in Hamburg – ein Konzert, das so widersprüchlich war wie die Band selbst. Auf der Bühne: eine musikalisch hochpräzise, mitreißende Show. Im Raum: spürbare Unsicherheit, eine halbleere Arena und die unausgesprochene Frage, wie viel Provokation man als künstlerisches Konzept noch tolerieren darf.

Ronnie Radke, Frontmann und Mastermind hinter Falling in Reverse, ist seit Jahren eine polarisierende Figur in der Rock- und Metal-Szene. Seine transfeindlichen Äußerungen, der respektlose Umgang mit der LGBTQ+-Community, der Hang zur Online-Beleidigung seiner eigenen Fans und eine Vergangenheit mit Haftstrafe wegen Anstiftung zur Körperverletzung mit Todesfolge. Das alles steht wie ein Schatten über dem musikalischen Genie, das er zweifelsohne ist. Dass sich diese Kontroversen mittlerweile auch in den Ticketverkäufen widerspiegeln, war gestern unübersehbar: Die Arena war nur etwa zur Hälfte gefüllt. Einige Fans tuschelten nervös, ob das Konzert nicht vielleicht doch noch kurzfristig abgesagt werde. Diese Sorge war unbegründet – die Show fand statt. Und sie war musikalisch eine Wucht.

Zuvor heizte die japanische Metalcore-Band Crossfaith dem Publikum ordentlich ein. Ihre explosive Mischung aus Industrial, Breakdowns und Elektrosounds brachte zumindest die ersten Reihen in Bewegung. Als Opener lieferten sie eine saubere, energetische Performance ab – und waren letztlich der unproblematische Lichtblick des Abends.

Crossfaith © Nordevents

Als dann Radke mit seiner Band zu „Highway to Hell“ von AC/DC die Bühne betrat, begann eine Achterbahnfahrt durch das Repertoire von Falling in Reverse: Alte Emo-Hymnen wie „Just Like You“ oder „I’m Not a Vampire“ riefen nostalgisches Mitsingen hervor, während neuere Songs wie „Popular Monster“, „Watch The World Burn“ oder das genreübergreifende „All My Life“ mit Rap-, Metal- und sogar Country-Elementen musikalische Grenzen sprengten. Radkes stimmliche Flexibilität – von brutalen Screams bis zu klarem Gesang – ist ohne Frage beeindruckend.

Doch selbst auf der Bühne bleibt Radke der Bad Boy, der mit seinem Image kokettiert. Er fordert das Publikum auf, ihn auszubuhen, Stinkefinger zu zeigen, nur um dann mit großen Augen zu fragen: „You have my back, right, guys?“ Es ist diese ambivalente Mischung aus Selbstinszenierung, Opferrolle und kalkulierter Provokation, die irritiert. Die „Hater“, von denen Radke ständig spricht, dienen ihm als Brennstoff – in Songs wie im Auftreten.

Crossfaith © Nordevents

radke – ein wandelndes PR-Minenfeld

Dass seine Aussagen und Auftritte nicht folgenlos bleiben, zeigte sich zuletzt bei der Ausladung vom Nova Rock Festival und beim Eklat bei Rock am Ring, als er sich über einen „Trans“-Schriftzug lustig machte. Auf der Bühne gestern blieb es bei Pyro und Pathos, doch das Wissen um diese Vorfälle schwebte wie ein unsichtbarer Nebel über dem Abend.

Am Ende bleibt ein schaler Nachgeschmack. Die Musik – hochklassig, innovativ, packend. Der Künstler – ein wandelndes PR-Minenfeld. Man fragt sich: Wie viel Genialität kann man genießen, wenn sie aus einem so problematischen Mund kommt? Wenn weniger Kontroversen für mehr Menschen einen Konzertbesuch möglich machen würden?

Fazit:

Ein Abend zwischen musikalischer Ekstase und moralischem Dilemma. Falling in Reverse liefern ein beeindruckendes Live-Set, doch Ronnie Radkes Persona ist für viele längst ein Ausschlusskriterium. Vielleicht zu Recht. Vielleicht auch tragisch – denn die Musik hätte ein größeres, unbeschwerteres Publikum verdient.


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