Bremen, 23.10.2025 – Ich war an diesem Donnerstagabend im Lagerhaus Bremen und hatte mir – ehrlich gesagt – nicht allzu viel vorgenommen: ein nettes Clubkonzert, vielleicht ein, zwei Gänsehautmomente, die man mitnimmt. Bekommen habe ich einen dieser raren Abende, an denen Musik plötzlich ganz nah rückt. Keine Show, kein Posen, sondern Nähe, Demut und eine Künstlerin, die ihre Songs trägt, als wären sie frisch geschrieben.
Der Auftakt: Mimi Vler öffnete die Tür
Pünktlich um 19:46 Uhr begann der Abend mit Mimi – gemeint ist Mimi Vogl, die Joya auf der Deutschlandtour als Support begleitet hat. Sie betrat allein die Bühne, ohne großes Intro, und füllte den Raum mit einer ruhigen, klaren Stimme, die sofort Aufmerksamkeit bündelte. Wer sie kannte, wusste: Mimi hat 2019 zusammen mit ihrer Schwester Josy als HAVET The Voice Kids gewonnen; heute geht sie solo – mit Texten wie Tagebucheinträgen, die sich in Melodie verwandelt haben. Man hörte die Einflüsse – Beatles, Bowie, ABBA –, aber wichtiger war die Haltung: verletzlich, offen, nicht auf Effekt gespielt. Ihr rund halbstündiges Set fühlte sich an wie ein Gespräch unter vier Augen – ein guter Einstieg in einen Abend, der Atem und Raum ließ.
Mimi © Nordevents
Publikum und Rahmen: Wenige Menschen, viel Raum
Im Saal standen und saßen nur gut fünfzig Menschen. Das tat im ersten Moment weh – so eine junge Künstlerin, so eine gute Produktion, und dann diese leere Fläche. Aber es kippte schnell ins Positive: Die Atmosphäre war dadurch fast privat, der Sound makellos – warm, transparent, ohne Druck, der alles zudeckt. Man hörte jedes Detail in Joyas Stimme: das Seidige in den leisen Passagen, das leicht Körnige, wenn sie anzieht; man hörte die Atmung, das Abrücken vom Mikro – all die Dinge, die in größeren Hallen verschwinden. Für mich war das Lagerhaus an diesem Abend der perfekte Ort.
Joya Marleen: Auftritt mit offener Flanke
Joya Marleen © Nordevents
Als Joya Marleen die Bühne betrat, war nichts Großes zu spüren – eher ein freundliches „Hi, ich bin da“. Diese Unprätentiosität zog sich durch den ganzen Abend. Zwischen den Songs sprach sie mit uns, nahm kleine Stichworte aus dem Publikum auf, erklärte kurz, wo ein Song herkommt, und ließ es dann lieber die Musik richten. Diese Nähe wirkte nie kalkuliert; sie passierte einfach.
Musikalisch spannte sie einen Bogen, der Melancholie und Leichtigkeit zusammen denkt. Viele ihrer Stücke tragen eine gedankliche Schwere, aber live bekamen sie eine Geschmeidigkeit, die nie zäh wurde. Ich hatte das Gefühl, dass sie ihre Songs atmend spielt – nicht auf Klick und Raster, sondern im Moment.
Die Setlist: Dramaturgie mit klarer Steigerung
Die Setlist war gut gebaut: vorne erzählerisch, in der Mitte verdichtet, hinten mit Luft und Tempo. So las sie sich (aus meinen Fotos der Zettel auf der Bühne):
- Frankenstein
- Last Dance of Waiting
- Next to You
- Professional
- Two Lovers Like You
- Trapped in the Middle
- It’s Been a While
- Who You Are
- Difficult
- End of the World
- Fire
- Solo Spot Lights On
- Pink Pony Club
- Nightmare
- Oxygen Driver
- I Think I’m in Love
In der Mitte kündigte Joya einen „Acoustic Part“ an – und holte Mimi nochmals auf die Bühne. Die beiden sangen „Yesterday“ (The Beatles) im Duett: schlicht, kaum begleitet, fast ohne Vibrato. Es war einer dieser Momente, in denen ein Saal kollektiv leiser wird, als er ohnehin schon war. Dieses Duett funktionierte, weil beide zurücknahmen, was sie können; niemand wollte führen, beide wollten teilen. Für mich war das der erste echte Gänsehautpunkt.
Auch wenn vieles an dem Abend reduziert wirkte: Klanglich war es sorgfältig vorbereitet. Die Gitarren lagen nie über der Stimme, die Drums (wo vorhanden) blieben federnd, nicht polternd, Keys füllten Lücken, statt Löcher zu stopfen. Besonders auffällig war, wie bewusst Joya mit Dynamik spielte: „Difficult“ bekam live eine andere Tiefe; End of the Worldlegte den melancholischen Kern offen, ohne zu schwermütig zu werden; Fire zündete tatsächlich – nicht als Lautstärke-, sondern als Energie-Peak. Gegen Ende sorgten „Pink Pony Club“, „Nightmare“ und „Oxygen Driver“ für die helle Seite des Sets – federnd, tanzbar, ohne Ironie.
Der Moment des Abends: Unplugged inmitten der Menschen
Die Zugabe war der zweite, vielleicht noch stärkere Höhepunkt: Joya verließ die Bühne, stellte sich mit den anderen Bandmitgliedern mitten ins Publikum und spielte unplugged, ganz ohne Technik. Kein Mikro, keine Monitore – nur Gitarre, Stimme, Ringlicht aus Handybildschirmen. In diesem Kreis passierte das, was Pop selten zulässt: Kontrolle abgeben. Man hörte das Holz der Gitarre, den Raum, das kleine Zittern am Ende langer Phrasen. Ich habe selten erlebt, dass ein Club so still werden kann. Genau dafür geht man auf Konzerte.
Joya wirkte charmant, zugewandt, menschlich. Keine Distanz, kein Künstlich-Cool. Man spürte, dass sie die letzten Jahre gearbeitet haben – an Stimme, an Songs, vielleicht auch an Erwartungen. Live stellte sie Musik vor Zahlen und Verbindung vor Performance. Das ist heute eine Haltung – und sie stand ihr.
Publikum, Reichweite, was bleibt
Ich war am Ende des Abends glücklich und ein wenig traurig. Glücklich, weil das Konzert so rund, so warm, so ehrlich gewesen ist. Traurig, weil nur rund fünfzig Menschen das erlebt haben. Laut Songkick folgen Joya aktuell nur etwa 3.900 Menschen – die Fanbase ist noch klein. Aber gerade deshalb hatte der Abend etwas von Geheimtipp. Wer dabei war, nahm mehr mit als nur eine Show: Man nahm eine Künstlerin mit, die in kleinen Räumen bereits groß ist.
Kein großes Spektakel – aber ein großer Moment
Dieses Konzert gehörte zu den Abenden, nach denen man draußen erst einmal langsam spricht. Es war wunderschön, berührend und überraschend dicht – ohne große Geste, mit viel Herz. Der Sound war hervorragend, die Atmosphäre intim, Joya nahbar und echt. Das Duett mit Mimi zu „Yesterday“ war ein stilles Geschenk; die unplugged gespielte Zugabe im Publikum war Magie.
Ich ging mit dem Gefühl, dass Größe im Pop nicht von der Bühnenbreite, sondern von der Aufrichtigkeit kommt. Joya Marleen zeigte in Bremen genau das.


















































