Kollektive Melancholie und rabenschwarze Nächte

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Hildesheim, 12.08.2023 - Wo sich sonst Hubschrauber, Ultraleichtflieger und Flugschulen tummeln, wurde es an diesem Wochenende richtig dunkel. Nein, nicht die Wacken-Jünger die letzte Woche im Schlamm unter gegangen sind waren gekommen, sondern die andere schwarze Fraktion der Gothic- und Cyber Gothic Szene feiert ihr seit dem Jahr 2000 bestehendes Festival.

M’era Luna (ein Fantasiename) am Flughafen Hildesheim-Drispenstedt ist nach dem Wave-Gotik-Treffen in Leipzig eines der größten Festivals für die sogenannte Schwarze Szene und Anhänger der Alternative Musik. Trotz des mit über 25.000 schwarzen Seelen ausverkaufte Festival ist das M‘era Luna vor allem ein Familienfest mit vielen Stammgästen. Im vergangenen Sommer wurde das Gelände umgestaltet. So errichteten die Veranstalter eine neue zweite Bühne samt eines schneeweißen, schattenspendenden Sonnendachs – geboren war die Club Stage.

An zwei Tagen fanden auf zwei Bühnen Auftritte von rund 40 Bands aus Deutschland und der Welt statt undbegeisterten die Zuschauer. Sie haben hier die Möglichkeit, ihre dunkle Seite ein Wochenende lang auszuleben. Bereits am Freitag gab es Lesungen, den Crypt Talk mit Stephan Thanscheidt (Geschäftsführer FKP Scorpio) und Chris Harms (Lord of Lost) sowie Disco mit DJs.

Schwarz war natürlich die dominierende Farbe bei der Kleidung, ob Vampir-Outfits, Steampunk oder Kleidung der viktorianischen Epoche. Sehen und gesehen werden war das Motto. Jene Pilger der Dunkelheit machen M’era Luna zumindest zum optisch spannendsten Festival im Norden.

Neben den musikalischen Highlights dürfen sich die Besucher auch auf eine Modenschau, Lesungen, eine mitternächtliche Disco und einen Mittelaltermarkt freuen. Dieser war gut besucht und bis in die späten Abendstunden ein Anziehungspunkt für alle Teilnehmer. Der Markt bietet einen Gold- und Silberschmied, Feuershows, Gaukelei, Musik mit mittelalterlichen Klängen, Tanz und Kulinarisches. Auch stehen Grills zur Verfügung und die hungrigen Gäste brauchen nur das eigene Grillgut mitbringen.

Im Disko Hangar lockt die Gothic Fashion Show mit ausgefallenen Outfits und fantastischen Roben die Besucher an. Es wurden so viele tolle Outfits gezeigt, dass wir dafür eine extra --> Bilderstrecke veröffentlichen.

Das musikalische Hauptprogramm auf den beiden Bühnen begann recht früh am Samstag um 11:00 Uhr mit der Industrial-Pop, Electronic-Rock und Synthrock-Formation Antiage mit Songs vom Debütalbum “Aphrodisiac Odyssey”. Nachdem auf der Club Stage die Dark-Electro Band Intent:Outtake aus Leipzig startete, ging es auf der Main Stage bereits mit Versus Goliath weiter. Die Band gründete sich Anfang 2019 in München und lieferten einen düsteren Mix aus Rock, Metal und Rap. Mit ihrer Musik ließen sie den Hörer dabei tief in die dunklen Abgründe der heutigen Gesellschaft blicken. Während auf der Club Stage die Indie/Post-Punk/Dark Wave Band A Projection aus Stockholm, das Goth-Rock Duo Wisborg, Absolute Body Control (Dirk Ivens und Eric Van Wonterghem aus Belgien) und Rabia Sorda -das Nebenprojekt von Erk Aicrag, Leadsänger der mexikanischen Aggrotech-Band Hocico- spielten, wurde es auf der Mainstage schon hochkarätiger. Das schwedische Quintett Rave The Reqiuem ließ eine modern klingende Mischung aus Metal und Electro der eingängigen Songs mit energetischen Drums und sägenden Riffs auf die Hörer los.

 

Tanzwut hatte uns zuletzt beim Rock House Festival begeistert und lieferten wieder ihren Mittelalter-Rock-perfekt ab. Die Mittelalter-Barden sind auch als Corvus Corax bekannt. Unter diesem Namen treten sie hauptsächlich auf Mittelaltermärkten auf.

Auch Megaherz braucht man nicht mehr vorstellen, da sie neben Oomph! und Rammstein zu den frühesten Vertretern der Neuen Deutschen Härte gehören. Ihr neues Studioalbum “In Teufels Namen” erscheint am 11. August 2023, unsere Rezension gibt es --> hier. Und da war schon der erste Wolkenbruch des Tages, aber das störte die Besucher recht wenig, zumal der Spuk nach einigen Minuten wieder vorbei war. Aber es sollte nicht der einzige Regenschauer an diesem Tag bleiben.

Die Dark-Wave Band Diary of Dreams um den Sänger Adrian Hates brachte ein Repertoire aus ihren mittlerweile 17 Alben mit. L’âme Immortelle klingt französisch, ist aber das österreichische Duo Thomas Rainer und Sonja Kraushofer. Der Bandname heißt übrigens auf deutsch „die unsterbliche Seele“. Sofort ziehen die Stimmen der Beiden das Publikum in den Bann. Romantisch, schön, zerbrechlich, brachial, verzweifelt– die breites Gefühlspalette wurde von der Band auf die Zuschauer übertragen.

Es ist bereits später Nachmittag und die Hamburger Band Girls under Glass spielten auf der Club Stage, gefolgt von Neuroticfish aka Sascha Mario Klein und Amduscia aus Mexico.

Joachim Witt, mittlerweile 74 Jahre alt, kennt wohl mittlerweile jeder, den Goldenen Reiter aus der Neuen Deutschen Welle- Zeit. In über vier Jahrzehnten hat er seine Wandelbarkeit bewiesen. Er machte Scherze über sein Alter.

Die Hamburger Electro-Wave Band Project Pitchfork folge. Sie zählt zu den populärsten Vertretern im Electro-Wave-Umfeld. In Extremo ist Dauergast auf Festivals und bei den ersten beiden Songs gab es auch dieses mal wieder viele Feuerstöße.

Solar Fake ist das Synthpop-Projekt von Sven Friedrich. Er begann als Frontmann der Dreadful Shadows, ab 2007 ruft er Solar Fake als Nebenprojekt ins Leben, das musikalisch ausschließlich der elektronisch erzeugten Musik frönt. London After Midnight hatten gesundheits- und organisationsbedingt abgesagt, dafür headlinen Mesh als Rausschmeißer des Samstag auf der Club Stage.

Nun warteten alle auf den Headliner des Abends: nach seiner kreativen Schaffenspause kehrt VV – Ville Valo endlich auf die Festivalbühne in Hildesheim zurück. Wir haben über ihn bereits auf seiner aktuellen Tour berichtet und durften uns auf dieses besondere Wiedersehen freuen. Neben den Stücken seines Soloprojektes performte er ebenso viele Songs aus seiner Zeit mit HIM.