Interview mit Josh Scogin von '68

Von Patricia Mikolasch

Von der Kunst, dem Rock´n´Roll, guten und bösen Monstern, Stille, Stille, Stille und Rückwärtssaltos…

Mein Interview mit dem amerikanischen '68 Gründer, Gitarristen, Sänger, Texter Josh Scogin entpuppte sich als Potpourri ungewohnt - mir persönlich vertrauter - Sichtweisen… auf die Kunst, auf Musik und das Zusammenspiel greifbarer Unbegreiflichkeiten….

Das neue Album von '68 erscheint - worum handelt es?

„Es ist ein Rock´n´Roll Album, so genau worum es geht, weiß ich gar nicht. Ich habe mir nicht vorgenommen ein Konzeptalbum zu schreiben, aber es gibt natürlich immer eine Art roter Faden. Normalerweise ist es so, wenn ich Musik schreibe, dann schreibe ich immer… egal, ob wir gerade ein Album fertig aufgenommen haben oder nicht. Die Texte hingegen sind eine kurze Momentaufnahme meines Lebens. Es läuft dann manchmal so, dass wenn ich weiß, dass in einem Monat die Aufnahmen beginnen, ich mich zügig ransetzen und Texte schreiben muss. Üblicherweise schreibe ich die Texte kurz hintereinander. Es sind Momentaufnahmen aus meinem Leben, von dem, was ich gerade erlebt und durchgemacht habe - das schafft dann schon eine Art roten Faden, aber nie ganzes Konzept oder Punkt A., B., C. etc… Es geht um das, was ein Song braucht. Manchmal fühlt sich ein Stück glücklich an, es geht mehr um Rock´n´Roll, Kameradschaft, „zusammen abhängen“ und manchmal fühlt es sich etwas tiefgründiger, vielleicht sogar traurig an. Ich lasse also den Song mir vorschreiben in welche Richtung es geht. Jedes Stück steht für sich, doch gleichzeitig gibt es als komplettes Album eine gewisse Kontinuität, ein roter Faden, weil ich die Texte- je nach Album- in einem Monat oder einigen Wochen schreibe- je nachdem, wie lange ich das vor mir herschiebe ;)“

Hier zeigt sich das erste Mal gleich zu Beginn das Bild von Songs als „eigenständiges Wesen“ fast wie eine Person- der Gedanke gefällt mir sehr. Was würdest Du sagen ist die Essenz eurer Musik?

„Dass alles aus Leidenschaft entsteht. Es spielt keine Rolle, ob wir uns mit fröhlichen Dingen, mit traurigen Dingen beschäftigen oder gerade durch eine mental fordernde Phase gehen- alles entspringt und ist umgeben von Leidenschaft. Wir versuchen unsere Musik im gesamten Prozess - das Songwriting, Aufnahme und die Produktion so „live“ wie möglich zu machen. Ich denke, es gibt viele Bands, die ein Album produzieren und die folgenden Jahre damit verbringt es live zu performen. Wir mögen das, was wir live machen, wir machen das mit so viel Leidenschaft, es berührt uns jeden Tag. Deshalb versuchen wir diese Leidenschaft, den Vibe auf das Album zu bringen und es so zu produzieren, dass es sich organisch, menschlich anfühlt.

Heutzutage gibt es so viel Technik, die wir nutzen. Viele Bands nehmen ein Riff auf, kopieren und fügen es wieder ein- dann ist es natürlich perfekt. Wir tun das nicht. Wir versuchen entweder den ganzen Song oder Teile aufzunehmen, die auf jeden Fall zusammengehören. Also nochmal auf den Punkt- der Kern, so wie du es nennst- besteht aus der Leidenschaft, aus der alles entsteht, aus dem Livespiel, der Kameradschaft, der Energie die entsteht, wenn 100, 1000 oder 5000 Menschen in einem Raum sind- diese Energie wurde uns natürlich die letzten 1,5 Jahre genommen. Aber grundsätzlich ist das der Funke, aus dem ´68 geboren wurde. Das ist es, was wir gerne tun und gedeihen lassen- wenn man nicht grad in Quarantäne steckt.“

Ich habe ein paar Videos von euren Shows gesehen- kommt ihr irgendwann mal nach Deutschland?

„Ja! Auf jeden Fall. Wir waren bereits ein paar Male in Deutschland. Ich liebe Deutschland- es gibt so viel Städte, in denen man spielen kann. Wir spielen viele Supporttouren, also gehen wir natürlich dahin, wo die größere Band spielt und viele dieser Gigs der letzten drei oder vier Jahre (das Letzte ausgenommen), haben wir in Großbritannien gespielt. Wir sind dann zum Beispiel in Frankfurt angekommen, haben vielleicht eine Show in Berlin oder so gespielt und sind dann praktisch gleich weiter nach GB geflogen… ich weiß nicht genau warum. Aber ich war schon ein paar Male in Deutschland und mag es sehr, hoffentlich können wir in naher Zukunft - wenn das alles durch ist- nach Deutschland kommen und in jeder größeren Stadt spielen.. Ich liebe Deutschland- es ist so reich an Geschichte, alle sind freundlich…

Gerne würde ich so einem Event mal beiwohnen- die Shows sind nämlich- wie ich später erfahre- wirklich sehr „passionate“ und auch rau. Die Sache mit den Songs lässt mich noch nicht wieder los, also hake ich nochmal etwas nach: Wie schreibst Du die Songs denn?

„Jeder Song ist sehr unterschiedlich… Mir sind Songs in Träumen erschienen, es gab Songs, die aus Jams entstanden. Manchmal ist es so, dass ich weiß, etwas ist da, aber es zeigt sich mir nicht richtig und dann braucht es manchmal Monate oder Jahre um es weiterzuentwickeln. Ich hatte auch mal Teile von Songs von drei oder vier Alben, von denen ich dachte, sie würde später auf einem Album erscheinen, doch dann passten die Stücke nicht mehr zueinander.

Es gibt also keine Formel- zumindest nicht für mich. Es ist so als würde ich einfach nur mit auf den Zug aufspringen. Bei manchen ist es so, dass ich gleich zwei Stück an einem Tag „rausballern“ kann- alles kommt einfach, ich bin inspiriert und alle Bedingungen sind gut. Dann gibt es wiederum Songs, von denen weiß ich, sie sind da und ich bleibe ihnen dicht auf den Fersen, ich weiß, dass da etwas passiert, etwas Gutes und ich möchte es so gerne auf dem Album haben, aber aus irgendeinem Grund finde ich nicht das richtige Ende. Manchmal erscheinen diese Stücke später auf einem anderen Album, manchmal auch nicht. Es gibt keine Formel, ohne Sinn und Verstand, ich gehe einfach mit, was auch immer der Song braucht, ich bin da um ihn damit zu versorgen. Und wenn der Song braucht, dass ich jeden Tag zur Arbeit komme und an ihm arbeite- das ist in Ordnung; wenn der Song einfach aus mir herausplatzen möchte, einfach da ist- genauso… Manchmal fühle ich mich so, als müsste ich einfach nur da sein und alles, was geschieht für das Album übersetzen. Ich bin zwar da, aber im Grunde passiert es ohne mich. Letztlich weiß ich es nie genau.

Jemand, der vielleicht professioneller ist als ich hat da vielleicht eine strengere Herangehensweise, doch für mich funktioniert das nicht. Ich heiße sie alle willkommen- die, die einfach zu mir kommen, die, die besondere Aufmerksamkeit brauchen und alles, was da zwischen liegt. - Das macht ein gutes Album aus. Auch für mich selbst- wen ich als Zuschauer durch ein Album gehe, denke ich manchmal „Oh Mann, dieser Song war vier Jahre lang in meinem Kopf und jetzt habe ich einen Schluss gefunden oder ich bin endlich erwachsen genug geworden, habe genug Lebenserfahrung gesammelt, um ihn so zu schreiben, wie er sein muss. Ich weiß nicht wie Inspiration funktioniert, aber ich weiß, dass sie existiert, dass sie real und greifbar ist.“

Gibt es einen Lieblingssong auf dem Album?

„Nein, in der Form nicht. Die Stücke haben sehr unterschiedliche Reisen hinter sich und einige dieser Reisen bedeuten mir sehr viel. Einige haben ihre eigene Geschichte in der musikalischen Welt, andere in der textlichen Welt. Der letzte Song auf dem Album hat nicht besonders viel Text, aber diesen verrückten Wandel, den ich durchmachen musste in meinem Leben, auf den ich nicht weiter eingehen werde, habe ich für mich, in mir und meiner Psyche gut zusammen gebracht, mit der letzten Zeile „New House, New Habits“. Auch wenn es sehr einfach ist- für mich steckt da sehr viel tiefe Bedeutung drin. Aber das Schöne an Kunst, meiner Meinung nach, liegt auch darin, nicht über zu interpretieren oder zu erklären. Denn in dem Moment, in dem man Kunst definiert, verschwindet sie. Es ist als erreicht man eine Fantasie, eine Fata Morgana- gelangt man zu ihr, existiert sie nicht mehr. So ist es auch mit der Kunst, wenn man sie zu sehr erklären will und zu viel interpretiert. Ich mag es, wenn Menschen genug Spielraum haben und für sich selbst interpretieren können- ob sie nun das Gleiche daraus machen, was es für mich ist oder was ich damit sagen wollte oder nicht- das ist das Schöne an Kunst. Nochmal auf den Punkt: Es gibt also keinen Lieblingssong auf dem Album, aber zwischen der Musik und zwischen den Texten, hat jeder eine eigene, kleine Reise hinter sich- einige mehr als andere zu definieren, einige mit einem stärken Bezug auf das, was ich durchgemacht habe. Es würde hierbei eher zu einer Hierarchie kommen…“

Das Thema mit den Songs… als ich mir das Album angehört hatte, sprangen mir die Titel der Tracks Nummer eins, sechs und zehn ins Auge. Welchen Grund hat es, dass die Titel der drei Songs das gleiche Muster haben?

„Das fing an mit „The Knife“, also dem Messer. Es gab einen Blues Sänger, der mal eine Geschichte erklärte und zwar sagte er: Es gibt nur ein Messer, doch es kann vieles tun. Es ist das Messer, mit dem du am Morgen das Obst aufschneidest, danach nimmst du es um dich damit zu rasieren und dann- das sind seine Worte, nicht meine- erstichst du später eine Frau damit, weil sie nicht treu war. Und so ist es eben, dass es nur ein Messer für viele verschiedene Dinge gibt. Für das Obst- es hilft einem also dabei sich zu ernähren, doch ist dasselbe Instrument am Ende der Tod. Er hat es sehr poetisch und spannend ausgedrückt. Die Songs folgen also dem Konzept, dass es ein Gegenstand ist, der trotzdem sehr unterschiedlich „sein“ kann- je nachdem wofür man sich entscheidet es zu benutzen. Auf die gleiche Art, bzw. genauso funktioniert Track 6 mit der Stille. Auch sie kann unterschiedliche Dinge tun, erzeugen. Es gibt zum Beispiel die Stille, die als unangenehm empfunden wird und dann aber gibt es auch die Momente, in denen man etwas so großartiges erlebt oder getan hat, dass es einen sprachlos macht. Also ist es auch hier „The Silence, The Silence, The Silence“- ein „Ding“, das doch drei sehr unterschiedliche Bedeutungen in sich trägt.

Beim Sturm ist es das gleiche. Es kann ein physischer Sturm sein, der sehr greifbar ist, doch es gibt auch den „mentalen“ Sturm, der sehr ähnlich ist, aber eben doch ganz anders. Alle drei Tracks werden von dieser Idee, diesem Gedanken genährt: Ein „Gegenstand/Ding“, das so unterschiedlich sein kann oder für so unterschiedliche Dinge benutzt werden kann, dass es eigentlich fast schon ein ganz eigenes Wort bräuchte, bzw. etwas völlig anderes ist, obwohl man von demselben „Gegenstand“ spricht. Es fängt mit dem Messer an- „The Knife, The Knife, The Knife“- einem sehr konkreten und greifbaren Gegenstand. Dann kommt die Stille- sie ist schon etwas weiter gefasst, etwas abstrakter, trotzdem kann sich jeder etwas darunter vorstellen. Der Sturm ist das abstrakteste- poetisch gesprochen - der mentale oder innere Sturm. Das ist sehr bildlich beschrieben und im Gegensatz zur Stille, ist der innere Sturm nicht greifbar und nicht unbedingt für jeden nachvollziehbar. Es gibt somit schon eine Art Entwicklung von etwas wirklich greifbaren hin zu etwas, das eher spirituell ist, aus der Natur stammt.“

Ehrlich gesagt bin ich selbst ziemlich froh diese Frage gestellt zu haben, diese Vorstellung, diese Annäherung an ein Wort, einen Gegenstand, eine Idee mit so vielen zugehörigen und abtrünnigen Bildern, fasziniert mich gerade sehr und beflügelt mich gedanklich regelrecht- auch wenn diese „Ausflüge“ erst mal warten müssen, doch satt hören kann ich mich gerade sowieso nicht. Gehen wir mal aus der Gegenwart ein wenig zurück: An welches musikalische „Ereignis“ erinnerst Du Dich bis heute am liebsten?

„Das ist schwierig. Da gibt es sicherlich einige, was mit aber einfällt ist, als wir die Gelegenheit hatten in Israel zu spielen.


 

 

 

 

Wir hatten drei Gigs dort, das war wirklich surreal. Es ist- wenn ich das so sagen kann- ein sehr „spirituell aktiver“ Ort- es passiert dort ja unglaublich viel und ich denke, wenn man dort landet, kann man das fühlen. Aber die Shows waren toll, die Menschen sehr freundlich und das Essen unglaublich lecker :)


Photocredit: `68

Aber die Geschichte - also das „Ausmaß“ an Geschichte. Ich meine, ich komme aus Amerika- wir haben hier natürlich auch eine Geschichte, aber im Verhältnis ist sie ja noch sehr jung und nichts im Vergleich zu dem, was man in Europa hat oder eben an so einem speziellen Ort wie Israel. Ich liebe Israel und die Tatsache dorthin reisen zu können. Etwas was mir noch einfällt ist, als wir im asiatischen Teil in Russland ein paar Shows spielen konnten. Die Gigs fanden alle in wesentlich kleineren Städten statt- dort gab es auch unheimlich viel Geschichte. In den Orten, in denen wir spielten, konnten die Menschen praktisch überhaupt kein Wort Englisch. Es war schön, dass man auf der einen Seite überhaupt keine Verbindung, bzw. Möglichkeit zur Kommunikation hatte, auf der anderen Seite wir alle zusammen auf dem Konzert waren und die gleiche Energie teilten. Das zeigt wie wichtig Kunst/Musik sein kann, sie fungiert als Sprache. Die Menschen dort haben überhaupt keine Idee von dem, was ich sage, weil sie auch keine grundlegenden englischen Wörter sprechen oder verstehen können und ich kann kein einziges Wort Russisch (lacht). Jetzt kann ich ein bisschen, aber damals nicht.

Es gab also diese ganz klare „Trennung“ und trotzdem: Wir waren dort, alle zusammen und bauten eine Brücke über diese „Schlucht“ mit Musik, mit Kunst. Das zeigt auch wie greifbar Musik/Kunst ist- auch wenn man sie nicht berühren kann, wissen wir alle, dass sie da ist, dass sie sehr wohl sehr real ist. Und dieser Moment, so etwas teilen zu können, mit Menschen, mit denen man normalerweise nicht kommunizieren könnte, war wie ein Beweis dafür. Klar gibt es Übersetzer und/oder Dolmetscher, aber in solch einem Moment braucht man keinen Übersetzer, wir sprechen alle die gleiche Sprache: Musik und Kunst. Laute, aggressive Klänge, die uns ein einem Gefühl verbinden. Das war ein wunderbarer Moment.“

Knallbunte, verschneite und sandige Bilder von einer im Chor mit schreienden Meute gehen mir durch den Kopf…Wir steigen noch etwas tiefer ein: Wie erlebst Du das „Musik machen“, wie erlebst Du die Balance zwischen Geben und Nehmen in und mit der Kunst?

„Ich erlebe es so, dass ich es absolut annehmen kann- was auch immer in dem Moment mit mir passiert. Ich liebe dieses „Ding“, dieses Wesen, von dem - wie ich glaube- wir beide gerade sprechen. Ich weiß nicht was es ist, ob es einfach pures Adrenalin ist- einfach körperlich zu erklären oder wirklich eher etwas spirituelles. Beiden Möglichkeiten stehe ich offen gegenüber und was immer es ist, ich nehme es an. Ich denke - noch einmal zurück zu den Live Shows- es passiert etwas sehr tief greifendes wenn mehrere Menschen zusammen sind und die Energie, die wir alle abgeben, füttern und ja, wir sind auf der Bühne und andere sind es nicht, aber das ist wirklich irrelevant. Die Tatsache, dass wir alle in einem Boot sitzen, dass wir es gemeinsam erleben. Und es gab Shows, auf denen kannte kaum jemand unser Zeug, weil wir für eine größere Band gespielt haben; und es gab Shows, auf denen wir alle zusammen die Texte geschrien haben- es macht keinen Unterschied- es gibt diese greifbare, nicht wortwörtlich greifbare Energie, die man nicht leugnen kann. Man fühlt sie einfach. Das gibt mir Hoffnung für die Menschheit, es inspiriert mich, es ist unerklärlich und ich denke, ja manchmal saugt es die Energie aus mir heraus und doch bewegen und vibrieren wir alle gemeinsam und ich nehme es an, ich heiße es willkommen, denn ich weiß, es ist etwas größeres als ich selbst bin oder als was ich tue; es ist das Genie in der Wand, es ist die Muse. Es sind die Dinge, Wesen, die darauf warten „anzugreifen“. Für ich ist Inspiration wie ein Wind und ich denke, dass dieser Wind ständig in Bewegung ist und vielleicht hat er vor mir schon 12 andere berührt, aber sie spielten vielleicht keine Gitarre oder nicht auf dem Level, eventuell waren sie nicht offen oder zu beschäftigt, was auch immer, aber der Wind ging durch sie durch. Ich denke, wenn man offen ist, dann kann es einem auch richtig zusetzen, aber, wie ich finde, auf eine wunderbare Art und Weise. Also, ich versuche einfach beiseite zu treten und das Steuer dem zu überlassen, was auch immer es genau ist, ich lasse es einfach machen. Ohne dem entgegen zu gehen. Wenn es links abbiegen möchte, werde ich nicht rechts abbiegen. Und manchmal entstehen daraus wunderschöne Momente und manchmal passieren auch einfach „dumme“ Sachen (lacht) .

Es ist so, dass wir keine Setlists haben; eventuell haben wir einen Song, mit dem wir anfangen und eine Idee mit welchem Stück wir das Set beenden, aber alles dazwischen kann sich verändern. Manchmal fühlt man es und es passt einfach und manchmal denkt man sich auch „Oh- das habe ich gerade verpasst (lacht)“ oder es hat nicht geklappt, doch das ist egal- wir sind Menschen und sitzen alle im selben Boot.

Das klingt alles so frei- hast Du keine Angst davor die Kontrolle zu verlieren? „Oh- ich verliere die Kontrolle. Ich beanspruche nicht den Titel „als tightetse Band oder versuche nicht jedes Mail perfekt zu klingen, ich lasse einfach fließen und es gab unzählige Male, in denen ich absolut außer Kontrolle war. Einmal zum Beispiel habe ich einen Rückwärtssalto gemacht- und ich kann überhaupt keinen Rückwärtssalto! (lacht) Und es war bei Weitem kein schöner Anblick, aber es überkam mich einfach, ich war absolut nicht mehr unter Kontrolle. Wenn ich das im Nachhinein sehe, denke ich mir nur, dass ich niemals so etwas machen würde! Aber in dem Moment ist es einfach passiert und ich kann nicht unbedingt sagen, dass ich es gut gemacht habe, aber ich habe mir nicht das Genick gebrochen. So etwas passiert halt eben und es ist etwas Wunderbares, denn am Ende des Tages war es echt, war es real, es ist wirklich passiert.

Sobald sich die Gelegenheit bietet diese Eskalation und völlige Hingabe live zu erleben, muss ich dahin. Gab es ein entscheidendes Ereignis oder ähnliches, weshalb Du Dich für den Weg des Musikers entschieden hast?
„Ich erinnere mich gut an mein erstes Konzert und ich erinnere mich daran, gedacht zu haben „das ist es, was ich gerne tun möchte. Da war ich noch in der Schule. Es war ein großes Arenakonzert. Später sah ich dann meine Freunde auf einem kleinen Konzert. Die Bühne war so klein, dass man den Sänger berühren konnte und ich dachte mir „Ok, das andere ist cool, aber das hier ist einfach unglaublich, das sind wirklich interagierende Menschen“. Wenn ich es in Worte fassen kann- es waren viele kleine Meilensteine, die mich an den Punkt brachten, dass ich Musik machen wollte. Aber ganz zurück zum Anfang. Ich weiß, dass ich schon immer Kunst liebte. Schon in einem sehr jungen Alter versuchte ich immer etwas Neues (zumindest für mich neu) zu kreieren. Und dann kam eben in der Schule die Musik dazu und das Gefühl „das ist, was ich machen möchte, was ich versuchen möchte“. Professionell oder nur als Hobby, das Geld spielte keine Rolle. Ich wollte es einfach machen.

Es sind also viele kleine Dinge gewesen, die mich dazu brachten, aber auf jeden Fall das erste große Konzert und das erste kleine- eine Art Punkrock Konzert- die kleinen Konzerte waren wirklich eine große Sache für mich, denn man sieht dort wirklich Menschen. Ich habe auch schon große Shows in Arenen und kleine Gigs gespielt. Die Arenashows sind schön, sie haben etwas ganz eigenes. Doch es ist nur ein Feld von Köpfen, was vor einem liegt. Es ist leicht zu vergessen, dass es wirklich alles Menschen sind. Anders als wenn man vor 500 Leuten -mehr oder weniger- spielt. Es ist ganz klar - jemand ruft etwas aus der Menge und man hört es; es war eine Person aus der Menge, die das gesagt hat. Und so etwas ist eher das, was mich anzieht.

Die Zeit ist praktisch schon vorbei und während ich die letzte Frage formuliere, versucht mein Kopf einen Kinofilm aus dem Erzählten zu basteln. Gibt es ein Album und/oder Künstler, der Dich inspiriert hat und immer noch tut?

„Es gibt viele Künstler, die mich inspirieren oder von denen ich Fan bin, aber es gibt nicht so viele, die kontinuierlich gute Sachen schreiben. Oft sind die ersten paar Alben einer Band oder eines Künstlers wirklich toll, doch dann habe entweder ich mich verändert und die Band. Aber eine Band, die immer wieder großartige Songs schreibt ist Deftones. Sie haben und schreiben immer noch tolle Songs und es hat sich in der ganzen Zeit nicht so angehört, als hätten sie versucht, ein Album zum zweiten Mal zu schreiben. Sie machen immer etwas anders, immer etwas neu und es klingt einfach so als wäre es ihnen wichtig. Also Deftones- ich mag ihre Musik, ich mag ihre Texte, ich mag jedes Album von ihnen. Sie schreiben einfach immer wieder gut Musik. Sicherlich tun das ich viele andere Künstler, aber die fallen mir gerade nicht ein. Und es ist schwierig es allen recht zu machen. Deshalb denke ich, es ist einfacher es nicht jedem recht machen zu wollen oder darüber nachzudenken, sondern einfach das zu schreiben, was einem selbst gefällt oder was man selbst gerne hören würde. Und wenn es dann Leute mögen -cool, wenn es Leute nicht mögen - auch gut, denn man selbst weiß, man hat sein Bestes gegeben und man selbst mag es (lacht). Wenn die anderen es mögen, ist es nur noch die Kirsche auf dem Sahnehäubchen und wenn sie es nicht mögen, ist es ok, weil man selbst die Möglichkeit hatte etwas zu tun, etwas zu kreieren woran man selbst glaubt.

Ich denke, wenn man etwas schafft mit dem Ziel, dass es andere mögen sollen, ist das eine gefährliche Straße. Ich kenne viele Leute, die auf diese Art sehr viel Geld verdient haben, aber ich habe dieses Spiel nie mitgespielt; denn 1.: Habe ich keine Ahnung, was die Leute wollen oder was ihnen gefällt. 2.: Ich möchte nicht versuchen etwas zu kreieren, was den Leuten gefällt, lieber versuche ich etwas zu schaffen, von dem die Menschen nicht realisieren, dass es ihnen vielleicht gefällt, weil ich hoffe, etwas Neues, frisches zu kreieren. Ich möchte nicht etwas bequemes machen. Ich glaube, Kunst hat es noch nie geschafft die Welt zu verändern aus Bequemlichkeit heraus. Man muss sich schon mal umsehen und biegen - nicht, dass ich mich auf dieses Level setzen würde. Aber ich würde auf jeden Fall nie ein Album schreiben aus dem Wunsch heraus, dass es anderen gefällt, denn wenn das scheitert (ich glaube allerdings grundsätzlich nicht ans Scheitern), hat man nicht einmal mehr das Stück, dass es wenigstens einem selbst gefällt. Wenn ich etwas schreibe, was dann „scheitert“, ist es ok, denn es gefällt mir trotzdem und ich konnte etwas damit für mich tun und vielleicht hören es sich in fünf Jahren die Leute an und denken sich- „oh, ich mag das ja doch“ ; vielleicht mögen sie es aber auch nie- das ist dann aber dann in Ordnung. Aber wenigstens gefällt es mir, ich habe es gerne geschrieben, gerne gespielt - das sind Dinge, über die hat man Kontrolle. Ich habe aber keine Kontrolle darüber was andere Leute davon halten oder darüber denken und auf diesen Gewässern zu segeln ist für mich persönlich einfach zu viel.

Ein bildgewaltiges, berührendes und nicht zuletzt sehr unterhaltsames Gespräch ist zu Ende. Ich bedanke mich herzlich bei Josh Scogin für Bilder, Gedanken, neue Sichtweisen auf bekannte Themen und ein Gefühl von Verstandensein. Alles Gute für die Zukunft und hoffentlich auf bald live on stage…