|
Interview mit Michael Dorp von Flying Circus
Von Patricia Mikolasch
Ich habe mich sehr gefreut mit dem Sänger Michael Dorp der Band Flying Circus ein Pläuschchen halten zu können - spannende Geschichten bis hin zu kollegialem Teilen von Fachwissen, einfach sehr interessante Einblicke in das Leben des Musikers in einer sehr schönen Gesprächsatmosphäre…
Ich finde Eure Musik sehr spannend, Ihr habt einen außergewöhnlichen Sound geschaffen - was ist der Kern Eurer Musik?
MD: „Ich würde sagen, der Kern unserer Musik ist die Mischung aus Hard Rock und Progressive Rock. Diese Felder sind für alle Mitglieder eine Art „common ground“- alle fühlen sich damit wohl. Natürlich hat sich durch mehrere Besetzungswechsel in den letzten 30 Jahren der Fokus immer wieder etwas verschoben - mal war es mehr Hard Rock, dann wieder mehr Prog, je nach Zusammensetzung. Doch gerade mit der jetzigen Besetzung haben wir uns einen ganz eigenen Stil erarbeitet. Da wird über so etwas nicht mehr wirklich nachgedacht.“
Was macht Musik im Allgemeinen für Dich interessant?
MD: „Musik ist für mich dann interessant, wenn sie das schafft, was Kunst generell ausmacht: wenn sie eine parallele Ebene zum Alltag schafft und das Leben, das wir sonst führen von einer anderen Seite beleuchtet. Musik ist meiner Meinung nach die Kunstform, die am direktesten funktioniert, weil sie am stärksten über Emotionen funktioniert.“
Was nimmt Dich am ehesten ein wenn Du Musik hörst?
MD: „Der Transport von Emotion und Gefühl- das klingt jetzt fast wie ein Casting Juror. Aber da wir Menschen Gefühlswesen sind, können wir darauf am ehesten reagieren. Dabei ist es egal, um welches Gefühl es sich handelt. Unser letztes „reguläres“ Album zum Beispiel „1968“ beschäftigt sich mit der Ära, also auch mit allem, was in dieser Zeit passiert ist, also auch mit dem Vietnamkrieg- das sind ja nun wirklich keine schönen Emotionen - so etwas ist in Casting Shows natürlich weniger gefragt. Generell muss Musik das leisten, wie jede andere Form von Kunst - nämlich der Wirklichkeit einen Spiegel vorhalten.“
Alleine schon durch diese Eröffnung ist klar, dass mir dieses Gespräch, auch persönlich, viel Input geben wird - ich freue mich.
Wie schreibt Ihr Songs?
MD: „Meistens ist es so, dass ein Instrumentalist eine Grundidee hat. Über die letzten Jahre - gerade aber auch durch Corona hat sich die Arbeitsweise verstärkt dann so entwickelt, dass die Audiofiles erst mal ihren Weg zu mir finden und ich dann sehen kann zu welchem Part man singen kann. Wenn die Grundform soweit steht, fangen wir an das Material, die Idee mit der Band auszuarbeiten. Meistens wird also ein Grundgedanke in die Band getragen, der dann gemeinsam zu einem Song entwickelt wird - manchmal in einem langwierigen Prozess. Jeder muss mit dem Resultat zufrieden sein - bis zur endgültigen Form vergehen manchmal mehrere Monate.“
Die Texte schreibst Du? MD: „Ja, die Texte schreibe ich fast ausschließlich alleine. Grundsätzlich kann es alles mögliche sein, worüber ich schreibe. Für das aktuelle Best Of Album haben wir zum Beispiel einen Song geschrieben, in dem ich textlich auf den aktuellen politischen Gesamtzustand reagiert habe. Natürlich auch auf die Pandemie, aber auch die politische Entwicklung - die Bildung autokratischer Staaten, Autokraten, die Demokratien in ihrem Sinne umformen wollen, die Black Lifes Matter Bewegung spielte auch mit rein. Das war jetzt aber mehr ein Sonderfall. Im Normalfall hat sich in den letzten Jahren über die letzten Alben für uns als Band die Arbeit an einem Konzept als sehr inspirierend herauskristallisiert. Es kann einerseits hilfreich sein einen roten Faden zu haben, auf der anderen Seite befruchten sich die Songs gegenseitig zu einem Gesamtwerk, das nicht unbedingt zwangsläufig ein zusammenhängendes Werk sein muss - das gab es bei uns auch schon- das Album „Starlight Clearing“ erzählt zum Beispiel die Geschichte einer fiktiven Band, was dann sehr konkret war, aber es gibt ja viele Konzeptalben, die ein wesentlich offeneres Spektrum haben- wie zum Beispiel „Dark Side Of The Moon“ von Pink Floyd. Grundsätzlich ist es für uns alle sehr inspirierend sich im größeren Zusammenhang mit unterschiedlichen Ideen zum gleichen Thema auseinanderzusetzen.“
Diese Herangehensweise finde ich sehr spannend. „Ich denke, Rockmusik kann das!- Gerade Rockmusik. In den letzten musikalischen Entwicklungen, gerade im Internet-Zeitalter mit den Streamingdiensten, auf denen es vielmehr um einzelne Songs als um ganze Alben geht, wurde das vergessen. Natürlich fing auch in der Rockmusik alles mit Songs an - die Single war viel wichtiger als das Album, doch es gab die goldene Zeit von Mitte der 60er bis vielleicht Mitte der 80er Jahre, in denen das Album als Kunstform, die gesellschaftlich relevant kommentieren kann, akzeptiert war.“
Ihr seid ja nun schon viele Jahre als Band zusammen- was würdest Du sagen hat sich im Laufe der Zeit am stärksten in der Zusammenarbeit als Band geändert?
MD: „Ich würde sagen, es hat sich professionalisiert. Am Anfang waren einige von uns gerade mal Teens, die anderen Anfang Twens, also wir waren alle 18 - 21 Jahre alt - da macht man einfach so drauflos, ohne Nachzudenken - das hat sich über die Jahre verändert. Unser ganzes Leben hat sich verändert. Mit Teilen der Band ist man gemeinsam Entwicklungsschritte gegangen - Studium, Beruf, einige sind in Familie gegangen. Das sind alles Punkte, an denen man sich die Frage stellt: Mache ich mit Musik weiter oder nicht? Die Mitglieder, die nicht mehr in der Band sind, haben dann den Fokus auf Beruf und Familie gelegt oder mussten ihn manchmal auch darauf legen. Mit jedem weiteren Schritt war es dann eben auch so, dass wir uns Leute dazu geholt haben, die in unserem Alter diese Schritte schon gegangen sind und diese Entscheidungen schon hinter sich hatten, denen die Musik so wichtig ist, dass es entsprechend professionellere Musiker sind. Zwei aus Flying Circus verdienen hauptberuflich ihr Geld mit Musik. Nicht nur mit Bands oder Coverprojekten, sondern auch mit Unterricht. Unser Keyboarder/Geiger zum Beispiel unterrichtet Komposition, der andere Teil arbeitet semiprofessionell - das verändert natürlich die Herangehensweise.
Wie habt Ihr die Songs für das Best Of Album ausgesucht?
MD: „Hierbei gab es zwei Faktoren. Zum einen- ein Best Of Album steht dem, was ich vorhin zum Thema Konzeptalbum gesagt habe, etwas entgegen; deshalb gerade haben wir trotzdem versucht nicht nur die massentauglichsten Stücke zusammenzusammeln, sondern auch eine Sammlung zu schaffen, die in sich stimmig ist und die ganze Bandbreite der Band vertritt. Das war ein Faktor. Der zweite Faktor war es, zeitlich einigermaßen vollständig vorzugehen also Songs aus jeder Phase der Band. Pro bis dahin erschienenem Release also zwei Songs plus den einen, den wir extra für das neue Album geschrieben haben. Die Idee eines Konzeptes hat bei der Auswahl geholfen.“
Ihr seid ja nicht nur als Band schon lange zusammen, sondern auch schon seit 30 Jahren im Geschäft - wie erlebst Du das Musikbusiness im Wandel der Zeit?
MD: „Es hat sich sehr viel verändert. Es fängt schon damit an: Der erste große Startpunkt für Veränderung war die Veröffentlichung unserer ersten CD. Das Medium CD hat in den letzten Jahren massiv an Bedeutung verloren, dass unser erstes Album von 1997 physisch nach wie vor am meisten verkauft wurde. Ende der 90er fing es dann mit illegalem Filesharing an - man hat ganze Festplatten getauscht - das ist jetzt völlig unnötig - einzelne Songs, bis auf Raritäten, sind auf Streamingdiensten zu bekommen. Es hat sich sehr viel verändert und es hat einige Zeit gedauert bis wir uns komplett adaptiert haben. Doch ich finde die Möglichkeiten heutzutage gar nicht so schlecht. Früher war es ja so, dass die Band sämtliche Promotion machte. Heute läuft es vor allem über die sozialen Netzwerke, auf denen man einfacher organisches Wachstum generieren kann, auch wenn man auch Anzeigen braucht - so wie wir das auch gemacht haben mit dem eigenen Geld. Früher hat das Label so etwas gemacht. Wir haben zwar auch ein Label, aber mehr einen Basicdeal, der auch gut ist und für den wir dankbar sind.
|
|
Heutzutage nehmen Labels kaum mehr Geld in die Hand für die Künstler. Im Grunde genommen war das früher auch schon so: Die Band bekam einen Vorschuss, daraus wurde aber alles bezahlt - von der Promotion über die Produktion bis zur Releaseparty. Heute muss man eben auch in Vorleistung gehen, außer man hat einen komfortablen Deal. Die Labels schlagen nur dann zu, wenn man sich selbst auf ein gewisses Level gebracht hat. Was insofern nicht schlecht ist, als dass man selbstständig viel mehr steuern kann. Niemand redet da großartig rein. Früher - da hat man ja viele Geschichten von großen Künstlern gehört, mir fällt Prince ein, der sich teilweise wie ein Sklave seines Lebens gefühlt hat, hat die Plattenfirma ja auch Einfluss auf die Musik genommen. Heutzutage sind wir in der komfortablen Situation selbst entscheiden zu können, was wir machen. Wir können einfach aus uns heraus ein Statement machen und nicht schon im ersten Schritt darüber nachdenken müssen, wie es ankommen könnte. Danach machen wir uns natürlich Gedanken über die Vermarktung, aber man kann das Publikum zielgenauer finden. Insofern - es ist nicht alles schlecht ;)“
Photocredit: Flying Circus/Rainer Leigraf
Was war für Dich die wichtigste Erfahrung auf dem Weg zum Musiker?
MD: „Da gibt es auch verschiedene Seiten. Zum einen die kreative Seite mit der Band im Probenraum, der Prozess im Studio, die Liveschiene - alles für sich genommen sind extrem wichtige Felder, auf denen man wachsen muss, um an bestimmte Punkte zu kommen. Ich bringe das mal auf drei Punkte: Das Finden und Zusammenbringen des aktuellen Band Line- ups. Jetzt sind Leute dabei, mit denen man teilweise nicht musikalisch aufgewachsen ist, das war und ist immer noch sehr fruchtbar. Es ist wichtig und toll, im erwachsenen Alter als fertige Menschen aufeinander zu treffen und trotzdem zusammen Musik machen zu können. Der Zweite Punkt ist der Studiokomplex - als wir die Aufnahmemöglichkeit in den Dierks Studios hatten, was bis in die Mitte der 90er eines der führenden Studios war und bei uns um die Ecke.
Dort wurden die klassischen Rockalben der 80er Jahre, viel Krautrock in den 70ern produziert. Viele deutsche Künstler wie Grönemeyer oder die Toten Hosen haben da schon produziert. Aber auch internationale Stars wie Tina Turner, Rory Gallagher und Robbie Williams haben dort aufgenommen. Es ist ein riesiges Studio. Das war ein richtiges „AHA“- Erlebnis. Wir hatten vorher schon einiges gesehen - davor hatten wir zum Beispiel Aufnahmen in London, das war auch eine tolle Erfahrung. Aber das Dierks Studio… da hat man wirklich gedacht „AHA! So haben die damals gearbeitet, deswegen klingt das alles so cool“. Alleine die Mikrosammlung! Was da an altem Equipment steht… Wenn Leute, die sich damit auskennen, die Kompressoren sehen, haben die Tränen in den Augen.
Live möchte ich für die Covermusik eine Lanze brechen. Mit den Coverbands hatten wir schon viele Gigs, auch vor mehreren tausend Menschen und konnten unsere Liveperformance entsprechend schulen.“ Ich versuche mir vorzustellen wie es wäre in dieses Studio zu schreiten, als jemand, der dort wie die ganz großen Musiker aufnehmen kann - gelingen tut es mir leider, aber wahrscheinlich nachvollziehbarer Weise eher weniger… wer weiß, was noch kommt. Wir kommen zu einer für mich sehr interessanten Frage….
Kennst Du das Gefühl, dass Musik als Kunst- so viel sie einem auch gibt, sich auch zu viel von Dir nimmt?
MD: „Das kenne ich vor allem wirklich von der Bühne. So kreativ und intensiv der Schöpfungsprozess auch ist - das Schreiben bis hin zur Produktion eines Songs ist so durchritualisiert, dass man so zurückgeworfen auf die Bandmitglieder ist, dass mich das da nie in irgendeiner Weise anfasst. Natürlich ist es im Hintergrund da, gerade im Schöpfungsprozess stöpselt sich etwas Größeres ein. Vielleicht nehme ich die Situation durch das Zusammensein mit langjährigen Kollegen und Freunden im Proberaum und/oder Studio als nicht so gefährlich wahr.
Aber gerade das Energie-Ping Pong zwischen Künstler und Publikum kann alles hochschaukeln; man kann sich da noch viel mehr in irgendetwas verlieren. Da kann ich mir eher vorstellen, dass es gefährlich werden kann, wenn man die Bodenhaftung verliert. Wenn man zum Beispiel von Musikern hört, die auf Tour Probleme haben mit dem abendlichen Hype und danach alleine im Hotel zu sein. Das scheint vor allem der schwierige Moment zu sein, das ist für mich absolut nachvollziehbar. Aber vielleicht ist unsere Größenordnung noch nicht groß genug, als dass ich es für mich als gefährlich empfinde. Vielleicht gibt die Band auch Sicherheit . Ich habe Projekte mit meiner Partnerin, Flying Circus Kollegen, langjährigen Freunden und Vertrauten - vielleicht sind sie mein Saftey-net.“
Diese Antwort gibt mir persönlich irgendwie ein gutes Gefühl. Wenn man es nicht hat auch ein wenig traurig, aber trotzdem schön. Die Zeit wird langsam etwas knapp… Für mich als Sängerin sehr interessant: Wann und wie hast Du mit dem Singen angefangen?
MD: „Irgendwann habe ich einfach angefangen. Als Musiker ist man ja auch immer Fan, also habe ich angefangen nachzusingen. Ich war schon im Teenageralter musikfanatisch. Zu meiner Abi-Zeit gab es eine Party. Einige Leute hatten mich gefragt, ob ich dort nicht singen wollen würde-was ich dann auch tat, es super fand und somit einfach anfing. Einer, mit dem ich dort auf der Bühne stand, war dann auch in der ersten Besetzung von Flying Circus. Es lief also vor allem über learning by doing. Ich habe mal den ein oder anderen Workshop besucht, hatte aber nie kontinuierlich Gesangsunterricht- was anfangs auch nicht so gut war. Meine Erfahrung zeigte mir aber, je mehr man macht, desto besser wird es. Und je mehr verschiedenes man macht, umso besser wird es. Ich hatte verschiedenste Bands und Projekte. Und da letztendlich der Singapparat aus Muskulatur besteht, gilt auch hier - je mehr man macht, desto mehr trainiert man. Ein großer Schritt, was meine Belastbarkeit angeht, war, als ich vor ein paar Jahren an meine Grenzen stieß - 2-3 Gigs/Woche und 2-3 Proben/Woche waren manchmal etwas viel. Dann habe ich mit einem von einer finnischen Logopädin entwickeltem Trainingskonzept anzufangen. Das funktioniert ähnlich wie bei einem Sportler, dass man seine Topleistung öfter abrufen kann.“
Wieder etwas gelernt, das wird dann auch gleich von mir recherchiert und stelle mit Entsetzen fest, dass die Zeit vergeht wie im Flug- die letzten Fragen ziehen wir deshalb ruckzuck durch… Gibt es etwas, was Du Deinem jüngeren Ich am Anfang Eurer Karriere gerne sagen würdest?
MD: „Lass Dich nicht so viel ablenken.“
Welches Instrument würdest Du gerne spielen?
MD: „Hammond Orgel“ - eine gute Wahl, wie ich finde…
Was ist dein All- Time- Favorite. Künstler/Album?
MD: „A Night At The Opera, Queen“
Letzte Frage:
Wenn Corona jetzt schlagartig vorbei wäre- was würdest Du als erstes tun?
MD: „Wieder Konzerte geben- sofort auf die Bühne :)“
Gute Antwort!
Ich bedanke mich herzlich bei Michael Dorp von Flying Circus für dieses interessante, einfach schöne Gespräch und wünsche den Herren von Flying Circus alles Gute. Auch für den einen oder anderen Tipp bedanke ich mich sehr und höre mich nun etwas weiter in die 30-jährige Geschichte dieser Band ein. |