Interview mit Michael Rhein von In Extremo

Von Laura Fatteicher

Michael Robert Rhein feiert dieses Jahr sein 40-jähriges Bühnenjubiläum und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Mit seiner Mittelalter-Rock-Band In Extremo reiste er schon quer durch die Welt und verkaufte bisher über 1,6 Millionen Platten. Doch am Anfang seiner Reise, in den 1980er Jahren, wurden dem gebürtigen Thüringer viele Steine in den Weg gelegt. Denn mit einer Rockband vor Publikum spielen zu dürfen, war in der damaligen DDR nicht selbstverständlich und erforderte viel Einfallsreichtum...

Kannst du dich noch an deine erste Bühnenerfahrung erinnern?

Micha: Ich war etwa 12 Jahre alt, als in Heuthen (Thüringen) immer diese eine Bluesband gespielt hat. Da sind wir dann heimlich von Zuhause mit dem Moped meiner Schwester hingefahren. Weil mich das Konzert so begeistert hat, schenkte mir der eine Typ eine Mundharmonika. Leider kamen da nur drei Töne, aber irgendwie habe ich das dann hingekriegt – und beim nächsten Mal stand ich dann einfach mit auf der Bühne. Und da ging es los. Ich bin dann überall hin, wo eine Bluesband gespielt hat und habe da versucht mitzuspielen. 1983 gründete ich dann meine erste eigene Band, die hieß „Nr. 13“.

Auch du wurdest von den Auftrittsverboten in der DDR nicht verschont. War das für dich ein Motor weiterzumachen oder doch bloß eine Belastung?

Micha: Belastung war es in dem Moment, wo sie uns verboten haben. Das war auch gang und gäbe, das ist ja nicht nur einmal passiert. Man hat sich dann einfach einen anderen Namen einfallen lassen. Damals gab es zum Glück noch keine Computer oder so – bevor die das gecheckt haben, hat man schon wieder unter einem anderen Namen weitergespielt. Natürlich war das irgendwie belastend, weil von heute auf morgen war dann erst mal alles wieder vorbei, aber man hat sich nicht unterdrücken lassen und einfach immer weiter gemacht. Das war das Normalste der Welt.

Was hat sich für dich als Musiker nach dem Mauerfall geändert? Wie hast du dich gefühlt?

Micha: Da war natürlich erst mal die Euphorie da, wie bei jedem anderen auch. Was die Musik anbetrifft, gab es dann eine Zeit, wo überhaupt nichts mehr ging. Die ganzen Leute, die noch dageblieben waren, wollten natürlich auch die ersehnten Westbands schauen, von denen man immer gehört hatte und sind dann natürlich auf diese Konzerte gegangen. Wir haben zum Schluss vor 10 bis 15 Leuten gespielt. Da musste man sich dann notgedrungen eine Arbeit suchen. Das ging aber glaube ich nicht nur mir so, das haben ganz ganz viele durchgemacht. Das war natürlich erst mal erschütternd.

Du bist mit deiner Band In Extremo schon viel rum gekommen. Welches Land oder welche Stadt bereist du am liebsten während einer Tour?

Micha: Das kann man gar nicht sagen... Wir haben so viele Länder bespielt und es ist überall schön. Die ganzen Südamerikarutschen bis Chile, Argentinien da runter, das war schon ein Erlebnis. Oder auch Mexiko. Wir haben dort hoch und runter gespielt und auch ganz große Erfolge damals gefeiert. Wir waren in China, wir waren in Japan und in ganz Europa. Russland ist für uns auch nach wie vor immer, wie nach Hause zu kommen.

Macht es denn für dich einen Unterschied, ob du da privat hinfährst oder mit deiner Band?

Micha: Absolut. Wenn ich privat da bin, muss man sich um alles selber kümmern (lacht). Aber ich reise sehr gerne und war schon in ganz vielen verschiedenen Ländern. Du gehst dann eben nicht auf die Bühne und bist nicht mit deinen Freunden unterwegs, aber ansonsten reise ich nach wie vor sehr gerne.

Was war dein verrücktestes Konzerterlebnis in der Zeit?

Micha: Das kann ich so spontan gar nicht sagen. Aus Mexiko gibt es viele Anekdoten. Oder auch aus Russland. Aber in China war es zum Beispiel total verrückt. Wir haben da vor zehntausend Chinesen gespielt, die alle überwacht wurden. Wenn sie bei den anderen Bands, die dort gespielt haben, nur einen Arm oder einen Finger hoch gehalten haben, ist die Polizei da sofort rein. Wir haben dann einfach aus der Not eine Tugend gemacht. Als wir die Dudelsäcke gestimmt und unsere Kostüme angezogen haben, hat uns der Polizeichef gesehen. Wir haben ihm dann gleich eine CD und T-Shirts in die Hand gedrückt und Fotos mit ihm gemacht. So was hatte er noch nie gesehen. Dann haben wir ihn einfach gefragt, ob es nicht möglich ist, dass die Leute einfach mal mit feiern können. Er hat zugestimmt und die ganze Polizei, die im Graben stand – das waren ja hunderte – stand dann mit dem Rücken zum Publikum und nicht zu uns. Man erlebt immer etwas – die Welt ist groß und bunt und auch ein wenig verrückt.

 

Ihr habt jetzt auch auf einigen Strandkorb-Konzerten spielen dürfen. Wie war das für dich?

17.07.2021, Micha in Hamburg (Foto Laura Fatteicher)

Micha: Es ist natürlich total ungewohnt. Du gehst auf die Bühne zum Soundcheck und siehst da erst mal hunderte Strandkörbe stehen und denkst „Jetzt spielt man schon vor Strandkörben“. Allerdings muss man vor den ganzen Betreibern, die das ins Leben gerufen haben, alle Hüte ziehen, denn sie machen alles möglich, was aktuell möglich ist. Wofür man sich nicht schämen muss. Ich persönlich finde zum Beispiel Autokinos total neben der Tasse. Das wäre für uns keine Option, so was zu machen. Aber bei diesem Strandkorbding ist alles durchorganisiert, die Leute sitzen in Strandkörben und werden mit Getränken bedient. Für das Publikum stell ich mir das sogar richtig gut vor! Und wenn die Leute dann drin sind und du anfängst zu spielen, ist die Stimmung grandios, wirklich. Das ist auch Balsam für die Seele – nicht nur für uns, auch für die Leute selber. Und das macht einfach immensen Spaß. Ich find es sehr gut, dass so was gemacht wird.

Hattest du in all den Jahren auch schon mal den Gedanken, mit der Musik aufzuhören?

Micha: Es gibt immer mal eine Phase, die zum Glück auch nur ein paar Tage geht, wo man von allem die Schnauze voll hat, weil man sich mal in der Wolle hatte oder so. Dieser Gedanke ist dann aber immer ganz schnell wieder weg. Wir haben uns in 26 Jahren so viel aufgebaut und sind so viel rum gekommen, wir haben über 1,6 Millionen Platten mit dieser Band verkauft ... Das ist auch kein Beruf, das ist eine Berufung. So sehe ich das persönlich. Und jeder steht mal mit dem falschen Bein auf. Der Gedanke war mal da, aber nur ganz ganz kurz.

Welche Menschen haben deinen Lebensweg besonders beeinflusst?

Micha: Also in frühester Jugend natürlich Bands wie Deep Purple, Led Zeppelin, The Doors, T. Rex (ich bin ein riesengroßer T. Rex Fan), später dann Pearl Jam und Creed, aber auch Guns n’ Roses, Slash mit seiner Band, die Red Hot Chili Peppers und so weiter ...
Du begegnest immer wieder Menschen in deinem Leben. Die Familie steht natürlich jetzt außen vor, das ist was ganz anderes.

Hast du denn diese Idole auch schon treffen können?

Micha: Das ist total verrückt, auf den großen Festivals lernt man die alle irgendwann kennen. Ich war damals zum Beispiel einmal in Köln zu Besuch – ich glaube im Palladium oder im E-Werk – als Slash mit Velvet Revolver gespielt hat. Ich war unten im Backstage zu Gast und der Veranstalter stellte mich dann Slash vor, der aufstand und zu mir sagte „Mensch, es ist schön, dich endlich mal kennenzulernen.“ Ich sagte dann nur „Verarschen kann ich mich alleine“ und er meinte darauf dann „Sehe ich aus, als ob ich jemanden verarsche? Ich weiß schon was ich mache.“ Oder in Mexiko waren wir viele Tage mit den Red Hot Chili Peppers zusammen. Ein Jahr später haben wir uns auf dem Nova Rock Festival wieder getroffen. Wir sind von der Bühne gekommen und alle vier Chili Peppers knieten vor der Treppe und gaben uns ein Chapeau. So was vergisst man einfach nicht mehr. Man hat Kontakt und wenn man sich sieht, ist das auch immer respektvoll. Die kochen auch alle nur mit Wasser und der eine ist eben berühmter als der andere. So sehe ich das einfach.

Was sind deine Ziele oder Wünsche für die nächsten Jahre?

Micha: Wir haben viele Ziele! Das Wichtigste ist einfach, dass wir mit In Extremo weitermachen. Wir halten gerade mehr zusammen denn je und gehen nach dem Motto „Der Kompass zeigt zur Sonne“. Ich glaube, wir werden mit der Band noch viele schöne Sachen erleben. Der Weg ist das Ziel.

Auf noch viele weitere musikalische Jahre – bleib gesund! Und an alle, die In Extremo bisher noch nicht kennen: Hört doch mal ins aktuelle Album „Kompass zur Sonne“ rein! 2022 steht dann auch mit vielen Deutschlandterminen die lang ersehnte Tournee der siebenköpfigen Band an.