Interview mit Mark Kelly (Keyboarder von Marillion)

Von Patricia Mikolasch

Nach einigen Umwegen und Umplanungen fand das Interview mit Mark Kelly glücklicherweise doch noch statt. Eine Reise.. eine interessante Reise…

Mark, fangen wir mit einer „Standardfrage“ an- worum geht es bei Marathon? „Marathon ist eine Band, die ich wegen des Albums gründete. Fast alle Mitglieder von Marillion haben schon Soloalben veröffentlicht, ich redete schon ziemlich lange davon, nahm es aber nicht wirklich in Angriff… Bis vor ein paar Jahren, als ein Freund von mir mich ansprach und sagte, dass er Texte schreibt und ob wir zusammenarbeiten wollen. Er war es auch, der mich immer wieder fragte, ob ich an dem Album arbeiten würde. Ich muss zugeben, dass ich anfangs nicht so hinterher war, doch nach und nach begann ich das Potential zu sehen und wusste, ich brauche Leute, ich muss mir Musiker suchen, die das mit mir umsetzen können und wollen. Die ersten Demos produzierte mein Neffe- er ist selbst Musiker, erst 23 Jahre alt und spielt alles selbst.

Durch seine Produktion konnte ich mir ein besseres Bild machen, wir arbeiteten damals schon an dem ersten Song des Albums „Amelia“. Dann war klar, dass ich einen Sänger brauchte. Ein Jahr lang ging ich auf die Suche. Aus reiner Verzweiflung hörte ich mir auf Spotify die Liste der unbekannten Bands an und stieß auf die Band „Big Blue Ball“. Der Sänger war perfekt für meine Musik- ich dachte, er klingt wie Peter Gabriel. Es stellte sich dann heraus, dass es Peter Gabriel war! Diese Band ist ein Sideproject von ihm :-D. Ihn konnte ich ja nicht fragen… Als ich später ein Interview in einem Marillion Fanclub Magazin gab, erzählte ich diese kleinen Geschichte. Kurz darauf sprach mich ein Freund an und erzählte von Oliver Smith.“

War es also geplant einen Sänger zu engagieren, der wie Peter Gabriel klingt? „Geplant in dem Sinne nicht, doch ich wollte jemanden mit den Klangqualitäten von Gabriel. Es gibt viele Sänger, die amerikanisch klingen können- das ist auch gut, aber Peter Gabriel klingt sehr Englisch, er hat diese Rauheit in der Stimme- das gefällt mir sehr gut. Wir starteten mit den Demoaufnahmen 2019 im Marillionstudio. Ich hielt dann Ausschau nach dem Studio, in dem wir die richtigen Aufnahmen machen wollten. dann kam Corona. Der Grund dafür, dass das Album dieses Jahr erschien, war, dass ich ehrlich gesagt, durch den Lockdown und die ganze Krise sehr viel Zeit hatte. Ich fragte also die anderen, ob sie die Aufnahmen bei sich zuhause machen und mir schicken könnten, so dass ich alles bei mir zusammenfügen konnte. So entstand dann endlich das Album :)“

Ich schaue auf meine Notizen und sehe, dass Mark schon viele andere Fragen gleich mit beantwortet hat - „Das passiert wenn ich viele Interviews gebe- ich erzähle mehr Geschichten anstatt die Fragen einfach zu beantworten :)“ Während des Interviews wird viel gelacht- fast habe ich das Gefühl mit einem Bekannten ein schönes Pläuschchen zu halten. Ganz wunderbar entspannt geht es mit einer für mich persönlich sehr interessanten Frage weiter…

Als ich mich richtig in das Album rein gehört hatte, kam es mir so vor als sei es - zum einen durch die Titelgebung klar erkennbar, zum anderen durch die Texte und Arrangements hörbar, in drei Teile geteilt. Fast so, als seien es drei verschiedene Welten oder Zeiten. Wie kam es dazu oder einfach gefragt- Warum? „Mir war nicht unbedingt klar, worum es in der Musik ging- ich fühlte mich etwas nostalgisch. Wie als ich 15 Jahre alt war und wir diese schönen Vinylscheiben hatten, mit den großen Bildern, die über das ganze Format gingen. Da dachte ich mir, es wäre toll, das Album auf Vinyl zu veröffentlichen, auch weil es,gerade bei Jüngeren glücklicherweise ein Comeback erlebt. Also war klar, dass es nicht länger als 45 Minuten werden können. Mein Bruder Alex malte das Bild für das Cover. Ich wollte, dass es möglichst viele Bilder aus den Texten aufgriff. Das Album soll den Betrachter und Zuhörer mit auf eine Reise nehmen. Ich wollte die Menschen dazu bringen, sich das Album in eins anzuhören. 45 Minuten sind ja noch eine vertretbare Zeit. Auch wenn es in dem Sinne kein Konzept gab, es also kein Konzeptalbum ist. Wenn es ein Thema gibt, so ist es das der Kommunikation, der Abbruch von Kommunikation; die menschliche Sehnsucht zu entdecken, Neues zu tun. Ich wollte nicht, dass die Tracks einzeln in einer Playlist abgespielt werden.

Amelia war die erste Frau, die 1937 über den Atlantik flog, sie versuchte die Erde zu umfliegen. Doch sie verscholl auf dem Pazifik. Man fand Knochenreste und Artefakte, die vermutlich ihr und ihrem Navigator zuzuordnen sind. Es ist schon eine merkwürdige Geschichte- keiner weiß wirklich, was genau passiert ist. Die beiden waren so schlecht vorbereitet auf ein solches Unterfangen. Keiner von ihnen verstand Morse-Code, so hatten sie keine Möglichkeit die Richtigkeit ihres Kurses zu überprüfen. Im Grunde ist es kaum verwunderlich, dass es für die beiden ein böses Ende nahm. Da gab es also einen „Kommunikationsbreackdown“.

Der letzte Song „Twenty Fifty One VI (Brief History)“ handelt von unserer Sehnsucht mit Leben im Universum zu kommunizieren. und auch von der Geschichte des Films, bzw. des Buches „2001“. Es beginnt mit der Beziehung zwischen Clarke und Kubrick und dem Erkunden, was passieren würde, würden wir von Aliens besucht werden. Der Physiker Stephen Hawking sagte, wir sollten aufhören Signale ins All zu schicken, wir könnten ungewollte Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Es könnte Aliens geben, aber sie könnten nicht friedlich sein. Die drei Songs in der Mitte haben thematisch überhaupt nichts mit den anderen beiden Themen zu tun.“

Du bist seit 40 Jahren im Geschäft- was war der schönste Moment oder die schönste musikalische Erfahrung? „Oh, da gibt es sehr viele Momente, die mir einfallen… den Beruf des Musikers zu ergreifen, war keine bewusste Entscheidung, die ich eines Tages traf- es passierte mehr zufällig. Ich liebte es schon immer Musik zu machen, doch immer nur für mich, immer nur des Musizierens wegen. Auf einer Bühne vor Publikum zu spielen war für mich lange Zeit sehr beängstigend. Natürlich habe ich mich im Laufe der Zeit daran gewöhnt- mit Marillion haben wir ca. 2000 Gigs gespielt- das ist eine ganze Menge. Trotz der langen Zeit haben wir noch nicht in der Royal Albert Hall in London gespielt. Diese Gelegenheit ergab sich erst vor Kurzem. Das war wirklich eine magische Erfahrung. So spät in der Karriere dort spielen zu dürfen, das Publikum war unglaublich und wir spielten gut! Diese Momente sind so rar - wir sind recht kritisch mit uns, aber das war wirklich ein perfekter Moment oder besser, ein paar perfekte Stunden. Das passiert in einer Karriere vielleicht nur ein oder zwei mal.“

Gab es für Dich den Moment, dass Musik zu überwältigend für Dich wurde? „Das ist eine sehr ungewöhnliche Frage. Meine Freude an Musik „passiert“ oder entfaltet sich wenn ich versuche Musik zu schreiben- komponieren wäre meiner Meinung nach nicht das richtige Wort ;)- wenn mir musikalische Ideen einfallen. Manchmal fühlt es sich so an als ob jemand anderes das geschrieben hätte- dann denke ich mir immer „Wie konnte MIR so eine Idee kommen?“ Ich kanalisiere die Musik eher, als dass ich sie aktiv schreibe. Wenn ich auf der Bühne war, war ich immer verängstigt, ich konnte es nie wirklich genießen. Es gab sehr wenige Momente, in denen ich die Musik, das Musizieren auf der Bühne wirklich genießen und leben konnte. Ich höre von vielen anderen Künstlern, dass sie die Reaktion des Publikums lieben und es ein Geben und Nehmen ist, aber für mich geht es immer um technische Dinge.


 


 

 

Ich bin immer in „Hab-Acht-Stellung“, denn ich muss ja zum Beispiel die Sounds kontrollieren, die der Bassist gleich auf seinen Pedalen spielt. Ich muss sicher gehen, dass viele Dinge auch wirklich passieren. Es geschieht unheimlich viel nichtmusikalisches Zeug, fast als wäre ich eher Pilot eines Space Shuttles als ein Musiker :). Es fühlt sich nicht unbedingt so an als würde viel Kunst passieren. Doch seitdem ich mich daran gewöhnt habe, gab es Momente, in denen ich es einfach genießen konnte. Das ist nur manchmal auch das Problem- wenn ich mich darauf einlasse, vergesse ich, was ich eigentlich machen sollte! :) Ich verpasse wichtige Dinge oder wenn ich dem Sänger zuhöre, werde ich emotional, das stört bei dem, was ich zu tun habe. Es ist eine sehr merkwürdige Sache, man muss vorsichtig sein, sich nicht zu sehr zu verlieren, ansonsten geht etwas schief…“


Mark Kelly mit Marillion 2017 im ehemaligen Musicaltheater Bremen

Das klingt auf der einen Seite sehr anstrengend, auf der anderen auch ein bisschen frustrierend oder unbefriedigend- sich nie so richtig in die Musik, das Zusammenspiel mit der Band fallen lassen zu können würde mich irgendwie traurig machen…? „Es ist nur ein Teil von dem, was ich tue. Wie ich schon sagte, liegt die Erfüllung meiner musikalischen Sehnsüchte eher im kreativen Schaffensprozess. Auf der Bühne zu stehen fühlt sich für mich nicht so an wie für die meisten anderen. Vielleicht bin ich technisch einfach nicht so gut, dass ich beides kann- die Technik zu bedienen und zu genießen. Aber es enttäuscht mich nicht, denn es gibt viele Momente, die sehr besonders sind, nur nicht so oft wie die Leute denken.“

Die Arbeit aus dieser Perspektive zu betrachten finde ich sehr spannend und frage nach dem besten Ratschlag oder der besten Kritik, die Mark mal bekommen hat. „Du hast schwierige Fragen ;)… Ich habe nicht so viele Ratschläge bekommen… Lies den Vertrag genau durch bevor du ihn unterschreibst wäre ein guter Ratschlag - da sind wir uns unbedingt einig - man wundert sich wie viele es nicht tun, gerade junge Künstler, die aufgeregt sind, dass sie unter Vertrag genommen werden. Doch ich denke, dass heutzutage junge Künstler viel wachsamer sind und sich mehr mit dem Business beschäftigen und auskennen. Sie haben ihre eigene Karriere mehr unter Kontrolle als wir damals. Als wir jung waren, hatten wir einen Manager, eine Plattenfirma, die alles erledigt haben für uns. Wir haben sie alles regeln lassen. Wir haben unser Konto erst gesehen als wir das Ganze schon für 15- 20 Jahre gemacht haben- nur Gott weiß wie viel Geld wir verdient haben, was von anderen Menschen ausgegeben wurde. Aber ich beschwere mich nicht. Ich habe eine lange, stabile Karriere, in der ich es geschafft habe, nichts anderes zu tun als Musik zu machen- für die letzten 20 Jahre. Viele junge Künstler würden eher eine lange Karriere bevorzugen als ein, zwei schnelle Hits. Ich habe das geschafft, also beschwere ich mich nicht.“

Gibt es ein Album oder einen Künstler, der Dich früher inspiriert hat und es vielleicht immer noch tut? „Yes… ;) Das Album „Close To The Edge“ von 1971 von Yes. Ich denke viele Menschen entdecken die Musik, die sie lieben wenn sie im Teenageralter sind. Ich weiß nicht, ob es an den Veränderungen liegt, die sie in dieser Zeit durchmachen, aber die Musik, die sie in diesem Alter entdecken und lieben lernen hinterlässt einen bleiben Eindruck. Es scheint als würden sie diese Musik immer lieber, als bliebe sie immer besonders und mit ihnen. Egal, ob es nun Punk, Jazz oder eine andere Richtung ist. Manchmal kann man auf die Musik, die man als Teenager gehört hat zurückblicken und entdeckt die „Schönheitsfehler“, vielleicht hat sie nicht den Test der Zeit bestanden. Aber aus unerfindlichen Gründen- ich höre es zwar noch, aber nicht mehr so oft- liebe ich es nach wie vor, es ist immer noch etwas ganz besonderes. Es ist eine merkwürdige Sache- der Text ist mehr eine Art Wörtersalat. John Anderson´s Texte ergeben, sofern ich das sagen kann, keinen Sinn. Sie sind mehr das Gefährt für die Gesangsmelodie.“

Was bietet Dir Progressive Rock, was Dir andere Musikgenres nicht geben können? „Im Bestfall gibt es einem die Freiheit zu tun, was auch immer man will. Es ist merkwürdig, weil Progressive Rock früher Progressive genannt wurde, weil es neue Wege beschritt, auf denen die verschiedensten Musikstile miteinander kombiniert werden konnten, die noch nie miteinander verbunden wurden, wie zum Beispiel klassische Musik und Jazz. Es fühlte sich so an als gäbe es keinerlei Grenzen oder Einschränkungen was man tun konnte, wie experimentell man sein konnte. Sehr schnell entwickelte sich jedoch ein bestimmter Stil, anstatt immer weiter zu gehen. Es gibt bestimmt Musikrichtungen, die abenteuerlicher als Prog Rock sind. Aber was ich am meisten mag, ist, dass es keine Erwartungen gibt, ein Song dürfte nur 3:30 Minuten lang sein. Viele Themen, die bedeutend sind, brauchen mehr Länge um alles sagen zu können, was gesagt werden muss. Das mag ich. Ich mag Musik, die episodisch ist und sich nicht immer und immer wieder wiederholt.

Es gibt so viel Musik, die ich nicht ausstehen kann, weil es eine gute Hook gibt, die einem dann aber 3:30 Minuten um die Ohren gehauen wird bis man es komplett satt hat. Man denkt sich dabei immer nur- ja, das war schön, aber jetzt mach bitte etwas anderes…- Ich mag Stücke von 15 Minuten Länge, in der etwas für 30 Sekunden passiert und man sich denkt- oh, das war toll, das möchte ich nochmal hören- aber es passiert nicht, es kommt nicht nochmal; man muss das gesamte Stück noch einmal hören. Oder wenn es eine zweiminütige Einleitung gibt, dann passiert etwas- der Druck, die Spannung baut sich langsam auf und wenn sich dann etwas verändert, ist es besonders. Es gibt mehr Raum um auszuprobieren und mehr Raum und Zeit um Musik/Ideen, kompliziertere Ideen auszudrücken.“

Es ist leider schon Zeit für meine letzte Frage, auch wenn es noch eine ganze Weile so weitergehen könnte. Wird es ein zweites Solo Album geben? „Nachdem ich die letzten 25 Jahre gefragt wurde, ob ich ein Soloalbum produzieren werde, werde ich nun auf jeden Fall ein zweites herausbringen. Es gibt momentan schon drei Songs, die ich während des Arbeitsprozesses an diesem Album geschrieben habe, die aber von der Stimmung her nicht zu dem Rest der Songs passten. Sie werden es auf das zweite Album schaffen, was schon bald erscheinen wird. Ich sage nicht unbedingt nächste Jahr, aber in 18 Monaten. Also ja, es wird sehr bald ein zweites Soloalbum geben.“

In freudiger Erwartung auf dieses Album bedanke und freue ich mich über das äußerst schöne und ausgelassene Gespräch bei und mit Mark Kelly und tauche erst mal wieder ab in die entlegenen, den Menschen innewohnenden Orte auf Mark Kelly´s Marathon. Dankeschön dafür. Hier gibt es die Rezension von --> MARK KELLY`s "Marathon".