|
Interview mit Pi von Lord Of The Lost
Von Laura Fatteicher
Lord Of The Lost, die wenige Stunden vor meinem Interview mit ihrem Gitarristen Pi noch in einem 24-Stunden-Livestream fleißig die Bestellungen ihrer Fans gepackt haben, können heute endlich das Release ihres siebten Studioalbums feiern. Dass die Hamburger schon lange nicht mehr in eine Schublade passen, beweisen sie auch wieder mit ihrem neusten Meisterwerk „Judas“, das mit 24 Songs als Doppelalbum keine Wünsche offen lässt.
Pi, wie müde bist du jetzt?
Pi: Joa, 30-Stunden-wach-müde (lacht). Ich habe heute Nachmittag zwischendurch kurz geschlafen. Aber das war schon ein Akt, der 24-Stunden-Stream, den du da ansprichst. Von außen mag das wie eine richtig dumme Idee erscheinen und viele mögen denken: „Warum Leute? Seid ihr bekloppt?“. Erstens: Ja. Zweitens haben wir es keine Sekunde bereut. So müde man sich fühlt, so fertig man ist, so viel Sprachvermögen man auch einbüßt – es war echt geil, eine krasse Erfahrung!
Hat sich das wie bei Big Brother angefühlt oder habt ihr die Kameras irgendwann gar nicht mehr richtig wahrgenommen?Pi: Also ich hoffe, dass wir uns immer der Sachen bewusst waren, die wir gesagt haben (lacht). Ich weiß es aber ehrlich gesagt nicht mehr. Es war schon so ein bisschen Big Brother meets Backstage-Feeling: so lange auf einem Haufen zusammen sein für mehr als einen halben Tag oder einen Nachmittag, wirklich wie auf Tour den ganzen Tag zusammen rumhängen, in der Küche zum Abendessen zusammenkommen... Wir hatten einen Ablaufplan von Hamburg Records bekommen, wo alles drauf stand, was so gemacht wird. Es war wie ein Tour-Tag, nur leider ohne Konzert (wobei das nicht ganz stimmt, wir haben ja auch Musik gemacht), dafür mit viel viel mehr Arbeit. Aber es war echt super!
Das Album zeigt zwei verschiedene Perspektiven auf Judas Iskariot. Wenn man beide Teile – „Damnation“ und „Salvation“ – miteinander vergleicht, gibt es da auch musikalische Unterschiede?
Pi: Ja, musikalische Unterschiede gibt es aber auch schon von Song zu Song. Ich glaube, worauf du anspielst, ist die Stimmung, die durch die Songs erzeugt wird. Nicht umsonst heißt die eine Seite „Damnation“ und die andere „Salvation“. Damnation ist etwas düsterer, vor allem lyrisch gesehen – nicht unbedingt musikalisch. Es ist aber nicht so, dass eine Seite heaviger ist und auf der anderen nur Popballaden sind. Sie beschäftigt sich lyrisch eher mit verschiedenen Perspektiven auf Judas bzw. Adaptierungen von Perspektiven von Judas auf unser Leben, die einfach schmerzhafter sind, mehr weh tun oder problematisch sind. Auf Salvation ist dann das Gegenstück, damit das Ganze mehr uplifting ist. Uns war am Anfang klar, dass es ein Doppelalbum mit den zwei Seiten wird. Es war uns aber nicht unbedingt im Songwriting direkt klar, dass wir an einem Tag den Song für die eine Seite und an dem anderen Tag einen Song für die andere Seite schreiben. Das hat sich tatsächlich am Ende des Songwriting-Camps vom Feeling der Songs her ergeben, welcher Song wohin geht. Und es ging sich auch super aus, dass es dann 12 / 12 geworden sind.
Hat sich das Konzept, was ihr vielleicht am Anfang für das Album geplant hattet, jetzt zum endgültigen Ergebnis nochmal geändert?
Pi: Nein, das Konzept „Judas“, so wie wir es von Anfang an dachten und wie wir es ausgearbeitet und recherchiert haben, stand von Anfang an. Das war auch beim Briefing oberste Maßgabe, um emotional in das Thema reinzukommen und um zu wissen, worum sich alles dreht. Denn natürlich beeinflussen Emotionen erst mal auch die Musik ganz, ganz doll. Wenn man dann die Melodie schon mal hat, singt man erst mal Blindtext, als hätte ein Kindergartenkind englisch gesungen, damit es phonetisch stimmt und der Rhythmus der Gesangslinie schon mal da ist. So wird das dann skizziert. Bei manchen Songs, zum Beispiel „The Gospel Of Judas“, hat der Song an sich vier Stunden gedauert. Da entstand Musik und Text, da war wirklich alles vollkommen klar – ALLES. Aber das war eher eine Ausnahme. Hinterher hat man sich dann nochmal mit dem Konzept auseinandergesetzt und versucht, die Texte auszuarbeiten und sich pro Song ein Thema zu nehmen.
Du hast eben den Song „The Gospel Of Judas“ schon angesprochen. Gestern habt ihr ein Musikvideo zum Song veröffentlicht. Es unterscheidet sich vom Stil stark von den anderen bisher veröffentlichten Videos zu Judas. Kannst du mir etwas zur Idee dahinter erzählen?
Pi: Die beiden Videos, die vorher dazu raus gekommen sind, „Priest“ und „For They Know Not What They Do“, haben einen sehr sehr kinematischen Charakter. Dahingehend, dass sie eine Geschichte darstellen, also wirklich eine Storyline haben, die ineinander übergreift. Wenn man diese Videos guckt, merkt man irgendwann vielleicht auch, dass da nicht eine zeitliche Ebene ist, auch nicht zwei, vielleicht sogar drei und man verliert irgendwann ein bisschen den Überblick, wann wo was anfängt. Das ist auch so gewollt. Als dritten Song, um einfach alle Erwartungen zu zerschmettern, dass es eine Trilogie an Story mit dieser düsteren, melancholischen Natur wird, haben wir uns komplett davon entfernt und gesagt, dass wir auch die Weirdness, die wir haben und die wir sehr sehr embraicen, zeigen wollen. Und wir sind halt keine Band, die nur in einen Wald geht und schöne Videos macht – was wir ja auch gemacht haben, aber wir haben eben auch ein bisschen mehr zu sagen und auch ein bisschen mehr darzustellen. Und wir sind halt eine bunte Band: im Kopf, in der Musik und vor allem in unserer Einstellung.
Das konnten wir besonders im Bezug auf Judas auch nicht in den Hintergrund rücken. Denn wenn man sich mit der Person Judas in dem Maße auseinandersetzt, wie wir es für das Album getan haben (nicht nur in der biblischen Darstellung, denn die biblische Darstellung ist sehr einseitig), findet man so unglaublich viele Herangehensweisen und Sichtweisen an diese Person, die eben nicht nur sagen, dass er ein Verräter war und der schlechteste Mensch auf Erden. Es kann auch genauso gewesen sein, dass er der eigentliche Erlöser war. Zwischen diesen Extremen liegt so viel. Und eine dieser Positionen wollten wir dann im "The Gospel Of Judas"-Video darstellen: Dass Judas nicht unbedingt der Verräter war, sondern vor allem der Ausgestoßene. Und diese Situation, in der man sich da findet, als Ausgestoßener, die kann man super gut auf unser Leben projizieren. Wir alle kennen das Gefühl, außen vor gelassen zu werden oder diskriminiert zu werden, aufgrund der Art wie wir lieben, wen wir lieben, wie wir uns selber identifizieren, an was wir glauben, wie wir aussehen... Aufgrund dieser Aspekte, dieses Ausgestoßensein, wollten wir dem entgegentreten. Wir brauchen einfach ein Gegenstück dazu, mit dem wir als Band und auch allen andern Leuten versuchen zu sagen: „Seid wie ihr seid. Diversität und Individualität sind unsere Stärke.“ Das haben wir für uns als Band erkannt und das möchten wir auch jedem mit diesem Song vermitteln, dass das der Fall ist.
Ihr habt auch wieder sehr coole Outfits dabei. Besonders die Gewänder in den ersten beiden Musikvideos mag ich sehr. Sie die extra dafür angefertigt worden?
|
|
Pi: Nichts davon ist speziell angefertigt worden. Da kommt das Erfindertum mit und wir mussten ein bisschen improvisieren. Die Gewänder, die zum Beispiel die düsteren Gestalten, die wir vier außerhalb von Chris darstellen … (fängt an zu lachen) das klingt so doof … sind schwarze Regenparkas. Da ist dann einfach ein Tuch drüber und ein Schlauchschal als Mundbedeckung. Man kann da jetzt skeptisch sein, aber es gibt ja jetzt den visuellen Beweis, dass das geht! (lacht) Das hat super funktioniert. Darunter hatten wir dann halt schwarze Kleidung, schwarze Stiefel – fertig. Was die anderen Klamotten anbelangt, da wollten wir tatsächlich dem ganzen Look, den wir so im Kopf hatten, gerecht werden. Das Ganze sollte einerseits nicht richtig zeitlich zuzuordnen sein. Es sieht zwar irgendwie historisch aus, aber man weiß nicht, wo genau in der Historie und dadurch hat es seinen eigenen zeitlosen Charakter. Aber es musste trotzdem super modern und monochrom sein. Das richtige Wort dafür ist glaube ich avantgard (lacht). Wir haben uns da einfach stumpf auf die Suche nach Designern begeben, die sowas machen und haben dann die Leute kontaktiert, wo wir uns dachten, dass das genau das ist, was wir wollen. Wir sind dann bei der Firma Minoár Clothing aus Bulgarien gelandet, die das alles von Hand fertigt und die helle Kleidung ist von Orimono Clothing aus Berlin. Das war genau das, was wir brauchten.
Auf Telegram postet ihr ab und zu auch exklusive Inhalte. Allerdings hat die Plattform nicht unbedingt den besten Ruf... Wo seht ihr das Potential in dieser Plattform?
Pi: Der schlechte Ruf bei Telegram kommt für mich dadurch zustande, dass es eben so frei genutzt werden kann und nicht an den Stellen zensiert wird, wo es wichtig ist. In Teilen ist das zwar jetzt schon passiert, aber noch nicht in breitem Maße. Es war jetzt zum Beispiel bei Attila Hildmann so, dass er endlich gelöscht wurde. Meinungsfreiheit schön und gut, aber das hat nichts mehr mit Meinungsfreiheit zu tun.
Ich kann verstehen, warum das gerade für so eine Plattform rufschädigend ist und es ist total nachvollziehbar, aber der Fakt ist halt auch, dass du mit Telegram ganz gezielt deine Kernzielgruppe erreichst. Die Leute, die deinem Telegram-Kanal folgen, sind ja wirklich Leute, die alles wissen wollen. Und dadurch entwickelt man eine Wechselwirkung. Du kannst den Leuten so genaue Einblicke geben, also noch exklusiver, als über andere Plattformen, und es ist eben kein Paid Content, wo du zum Beispiel verschiedene Level hast. Wir wollen jeden erreichen, der da drin ist. Das ist eine super gezielte Maßnahme, um Infos zu verbreiten, erste Einblicke zu geben… Und es ist natürlich auch ein super Marketingtool. Und es schadet keinem – weder uns, noch den Leuten, die da drin sind. Dementsprechend sind die Chancen da sehr groß. Wir werden das weiter nutzen.
Bei einer dieser Aktionen auf Telegram konnten eure Fans auch ihre Stimmen für das neue Album einsenden. Wo findet man das Ergebnis?
Pi: Genau, das war für „Viva Vendetta“ im C Part. Das „No!“, was da gebrüllt wird, haben 386 Personen auch gebrüllt. Wobei, nicht nur Personen, auch Tiere. Also meine Katzen sind dabei, die Katze von unserer Mercherin Nadja ist dabei, es sind Hunde dabei ... Es geht natürlich in dieser ganzen Menge von Personen total unter. Es ist letztendlich fast schon schwer, dieses „No“ raus zuhören, weil es wie im Stadion ist, da hörst du irgendwann nichts mehr. Aber es war einfach eine coole Aktion und es war total geil, die Leute dazu einzuladen, an diesem Album teilzunehmen. Gerade in Zeiten, wo man nicht nur physisch, sondern auch sozial so ein bisschen voneinander entfernt ist. Gerade auch, weil wir nicht auf Bühnen können. Es war ein Tag Arbeit, das alles zu editieren, sodass es passt und die Wochen davor musste man jeden Tag E-Mails beantworten. Aber es war schön!
Auch wenn aktuell die Planung schwierig ist, ist eine Judas Tour denkbar, sobald es wieder möglich ist?
Pi: Ja. Wir mussten – das kann man schon sagen – intern natürlich schieben. Wir sind eine der Bands, die nicht vorab irgendetwas ankündigen wollten, um dann schon mal Ticketverkäufe einzuheimsen und dann wieder alles zu verschieben und zu hoffen, dass die Leute ihr Ticket behalten. Das ist überhaupt nicht kalkulierbar und überhaupt nicht sicher aus rein finanzieller Sicht. Denn letztendlich ist es auch ein Business. Dementsprechend: Intern wissen wir mehr. Ich kann und darf nichts dazu sagen – aber ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen. Wann genau, wird sich zeigen. Ich meine die Judas-Tour fängt ja schon im November in Russland – hoffentlich – an. Das ist der von uns deklarierte Start der Judas-Tour. Wann es dann weitergeht, das ist noch ein bisschen spannend.
Am Samstag dürfen wir uns mit eurem „Sinister Summer Stream“ wieder auf ein Wohnzimmerkonzert freuen. Habt ihr schon mal daran gedacht, die Show später auch als DVD/Blu-ray zu veröffentlichen?
Pi: Ich würde mal so sagen: Es ist ein denkbarer Schritt (lacht). Freut euch erstmal auf Samstag! Wir freuen uns auch darauf, denn wir werden das auch gucken. Es wird diesmal zwar live gestreamt, aber wie wir angekündigt haben, mussten wir diesen Stream leider im Vorfeld schon aufnehmen, da eine Notoperation das sonst torpediert hätte. Wir wussten einfach nicht, ob derjenige von uns, der operiert werden musste, kurz nach der OP noch auf der Bühne rumspringen kann. Es ist trotzdem geil und es ist genauso sein Geld wert, denn die Atmosphäre geht nicht flöten. Und wir können das genauso zur gleichen Zeit gucken, was auch irgendwie ein Verbundenheitsgefühl erzeugt.
Wenn ihr zusammen in einer WG wohnen würdet: Wer würde welche Aufgaben übernehmen?
Pi: Ich würde einkaufen ... vielleicht zusammen mit Klaas. Wobei Klaas würde eher den administrativen Kram regeln, wenn irgendwelche Wohnungsarbeiten anstehen und sich mit Mechanikern und Klempnern auseinandersetzen. Ich wollte gerade sagen, dass Chris die Wohnung dekorieren wird, aber nein, wird er nicht. Gerrit putzt, das steht fest. Nik kauft Getränke, die kauf ich nicht. Und was macht Chris? (überlegt)
Einer muss auch die WG zusammenhalten und planen…
Pi: Ja, auf jeden Fall. Er plant die Wochenendausflüge! Das ist gut.
Dann hoffen wir, dass er was schönes für euch findet. Ich danke dir für das tolle Interview!
|