Interview mit Timo Rotten von Oceans

Von Laura Fatteicher

Am 30. April 2021 veröffentlichte die deutsch-österreichische Band Oceans ihre brandneue EP “We Are Not Okay”. Für dieses gute Stück holten die aufstrebenden Post Death Metaller nicht nur bekannte Metal-Legenden wie Robb Flynn (Machine Head) ins Boot, sondern arbeiteten auch eng mit dem Verein The Ocean In Your Mind e.V zusammen. Was es damit auf sich hat und wie die EP entstanden ist, erklärt Sänger Timo Rotten in unserem Interview.

Hi! Schön, dass es mit dem Interview geklappt hat! Wie geht’s dir?

Timo: Eigentlich ganz gut. Das Release hat ganz schön viel Anstrengung gekostet. Heute stand den ganzen Tag Arbeit an und jetzt sitze ich hier und mache Interviews - was Spaß macht, aber ich bin auch echt langsam k.o. (lacht). Nach Releases fällt immer die ganze Spannung ab und dann bin ich für eine Woche erst mal ein bisschen platt.

Ihr habt die Band Oceans 2017 gegründet. Wie habt ihr euch kennengelernt?

Timo: Drei von uns kennen sich schon seit sie Teenager waren. Also Thomas, Patrick und ich kommen alle aus der selben Gegend in Oberfranken und kennen uns schon ungefähr seit wir 12/13 Jahre alt waren. Wir haben damals schon in allerlei Bands zusammen Mucke gemacht und haben dann irgendwann Oceans als Projekt starten wollen, weil wir einfach was anderes und neues machen wollten. Mittlerweile lebe ich in Wien - da habe ich dann nach einen Drummer gesucht und irgendwann Jakob durch einen gemeinsamen Freund kennengelernt. Dann haben wir uns in irgendeiner Bar getroffen und haben Pub-Quiz zusammen gemacht und viel Bier getrunken. Und schwupps war das quasi erledigt (lacht).

Ein Teil von euch wohnt in Österreich, der andere in Deutschland. Wie laufen die Bandproben bei euch ab? Corona hat das sicherlich nicht vereinfacht.

Timo: Nein gar nicht. Thomas ist in Berlin, Patrick ist immer noch in der Gegend Oberfranken, Jakob und ich sind in Wien… Aber im Grunde ist es egal, weil selbst in Wien können wir uns nicht treffen, weil man aktuell ja sowieso niemanden treffen darf. Im Grunde hat es für uns eigentlich nichts verändert, weil wir vorher schon sehr stark digital waren. Also Songs schreiben und alles andere ist für uns schon vorher online abgelaufen. Wir schicken die Songs dann halt hin und her. Und Proben tun wir dann eigentlich immer nur, wenn konkret was ansteht, also vor einer Show, vor einer Tour oder so. Wir treffen uns dann meistens irgendwo in Bayern und proben dann intensiv - also nicht 5 Tage. Vorher muss halt jeder für sich zuhause die Sachen üben.

Kommen wir mal zu eurer neuen EP. Die Songs geben einen Einblick in psychische Erkrankungen. Warum habt ihr euch für dieses Thema entschieden? Hattet ihr damit selbst schon Berührungspunkte?

Timo: Das Thema ist für uns ja gar nicht so neu. Wir haben das von Anfang an für uns als Thema gefunden. Das hat sich zu Anfang einfach so ein bisschen ergeben, weil wir überlegt haben, was der gemeinsame Nenner ist, den wir vier in der Band haben. Und wir wussten musikalisch schon so ein bisschen, wohin die Reise gehen soll und dass es zumindest keine Partymucke wird, sondern eher düster, traurig, aggressiv. Und wir haben von vornherein gesagt, dass wir den Leuten trotzdem eine positive Message mitgeben wollen. Es sind vielleicht traurige Songs und heftige Themen… aber wir behalten dieses Bild, mit dem Ozean, der stürmisch sein kann, doch am Ende ist dann immer der Silberstreifen am Horizont. Und es ist immer ein bisschen Hoffnung, die bleibt. Da sind wir dann einfach schnell bei dem Thema gelandet, weil wir eben alle diese persönlichen Berührungspunkte haben. Manche von uns haben persönlichen Erfahrungen mit Depressionen, Therapie, Tabletten usw., andere haben beruflich mit dem Thema zu tun oder finden sich dann eher in der Rolle wieder, dass man zwar selber nicht direkt betroffen ist, aber dafür nahe Angehörige oder Freunde. Dadurch haben wir verschiedene Perspektiven, die das Thema beleuchten. Und das hat es dann irgendwie einfach gemacht hat, weil alle voll dahinter standen. Und das ist halt etwas, was uns am Herzen liegt, weil wir nicht nur gerne Musik darüber machen, sondern uns für das Thema auch einfach engagieren wollen.

Ihr habt mit dem Verein The Ocean In Your Mind e.V. zusammengearbeitet. Ist euer Bandname daran angelehnt?

Timo: Nein, gar nicht. Weder unser Name ist an den Verein angelehnt, noch umgekehrt. Wir sind zusammengekommen, weil The Ocean In Your Mind 2018 oder 2019 einen Stand auf dem Full Force Festival hatten. Wir hätten 2020 eigentlich auf dem Full Force spielen sollen, dadurch kam dann irgendwie die Connection mit dem Verein zustande und wir haben ziemlich schnell festgestellt, dass wir die selben Ziele haben: Wir wollen das Bewusstsein für Mental Health schaffen, diese Stigmatisierung angreifen und versuchen aufzubrechen. Wir fanden es einfach extrem cool, was die machen und da kam dann die Idee zustande, zusammenzuarbeiten. Der Name hat dann auch noch so extrem gut gepasst. Unsere Promo-Lady hat am Anfang gedacht, dass wir diesen Verein auch leiten, aber wir haben quasi gar nichts mit denen zu tun. Das hat sich einfach so ergeben und jetzt haben wir auch diese Kampagne gemeinsam gemacht und auch Geld für sie gesammelt. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir da auch in Zukunft noch gemeinsam ein paar Aktionen machen.

Das Gemälde auf dem EP-Cover spiegelt das Thema sehr gut wieder. Stammt das Bild auch aus euren Händen?

Timo: Nein, für die EP haben wir zwar immer noch die Videos und alles selbst gemacht, die Artworks aber nicht. Wir haben dafür insgesamt vier Ölgemälde von einem Bekannten unseres Bassisten anfertigen lassen. Wir haben ihm die vier Songtitel gegeben und er hat dann das Cover und noch drei weitere Gemälde extra für diese EP gemacht - die anderen sind im Booklet zu sehen. Ich bin bei Ölgemälden eigentlich immer ein bisschen skeptisch, weil durch den Stil die Figuren oft komische Proportionen haben und auch die Haltung nicht so realistisch ist. Oft nervt mich das dann. Aber bei dem Cover hat es einfach wieder so gut gepasst. Diese Figur wirkt so, als wäre die kaputte, innere Welt nach außen gekehrt. Und das hat mich dann doch überzeugt und ich war happy, dass ich auf die anderen gehört habe.

Wie kann man sich den Songwriting-Prozess bei euch vorstellen?

 

 

Timo: Also in der Regel geht es bei mir los, das hat man in den letzten Wochen und Monaten auch auf Twitch mitverfolgen können (lacht). Ich bin jetzt immer, wenn ich im Studio bin, live auf Twitch und schreibe Songs. Und jeder kann zugucken. Und wie schon gesagt, läuft bei uns alles digital ab. Ich fang in der Regel an, Songs zu schreiben. Da sitze ich bei mir zu Hause oder fahr einmal die Woche ins Studio und schreib einfach drauf los. Und dann schicken wir das in der Regel immer hin und her und reden dann gemeinsam drüber, überlegen gemeinsam Ideen, arbeiten an der Struktur usw.. Lyrics hat eigentlich schon jeder von uns geschrieben.

Fotocredit: Nuclear Blast

Oft fängt irgendeiner an und spätestens wenn ich dann einsinge, tu ich auch nochmal daran herumfuhrwerken. Es ist aber eben nicht dieses klassische „wir gehen zusammen in einen Raum und spielen“. Es ist gezwungenermaßen alles digital und jeder trägt seinen Teil dazu bei. Aber durch die Pandemie ist es noch ein bisschen kollaborativer geworden als vorher. Dadurch, dass ich jetzt eben diese Twitch-Geschichte angefangen habe, sitzen jetzt auch die anderen Jungs auf Twitch, schauen zu und schreiben mir dann natürlich auch die ganze Zeit live, was ich anders machen könnte. Das heißt, wir sind so nah am gemeinsamen Songwriting wie noch nie.

Ihr habt für jeden Song andere Künstler mit ins Boot geholt. Ist euch beim Songwriting schon klar, dass ihr jemanden dazu holen wollt?

Timo: Nein gar nicht. Das würde auch gar nicht wirklich funktionieren, weil wir eigentlich die ganze Zeit schreiben. Während die EP rauskam und die Promotion gelaufen ist, waren wir konstant im Hintergrund schon am Schreiben und Texten für’s nächste Album. Ich glaube 23/24 Songs sind da jetzt schon wieder fertig. Bei dem ersten Song der EP zum Beispiel, "We Are Not Okay" habe ich 2017 angefangen zu schreiben und dann haben wir ihn über die Jahre immer mal wieder bearbeitet und nun war er für die EP gerade reif.
Wir haben einen Song, der 90s/Crossover/Newmetal ist, und eigentlich ein Rap-Feature bräuchte, weil er sonst einfach überhaupt nicht klar geht. Das wäre der einzige, wo ich jetzt schon weiß, dass wir ein Feature brauchen, wenn wir ihn veröffentlichen (lacht). Aber ansonsten entsteht das einfach so, wenn man dann das Album oder in dem Fall die EP zusammenstellt.

Euer Debütalbum “The Sun And The Cold” kam letztes Jahr im Januar raus. Ihr hattet das Glück, gemeinsam mit Equilibrium, Nailed To Obscurity und Lord of the Lost noch die letzten Konzerte vor Corona spielen zu können. Gibt es von dieser Tour ein Erlebnis, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Timo: Puh, viele! Das war ja unsere erste größere Tourrutsche als Oceans, daher war die ganze Tour so ein großes Erlebnis im Ganzen. Natürlich gab es da diverse geile Abende nach den Shows und wir haben es hier und da nicht zu wenig krachen lassen, haben in unserem kleinen Tourbus coole Partys gefeiert und so. Aber es ist echt schwer, da ein konkretes Erlebnis rauszuholen. Es war auch schön, wie gut die Resonanz jeden Abend bei den Leuten war. Obwohl wir der Opener waren und nach uns noch drei Bands gespielt haben, war immer gut was los. Was uns auf jeden Fall immer in Erinnerung bleiben wird - aber nicht, weil es so toll war, sondern weil’s echt die schlimmste Show meines Lebens war - war in Nürnberg, wo wir einfach alle todkrank waren. Dom von Equilibrium war ja dann auch für ein paar Shows gar nicht mehr mit dabei. Der musste ins Krankenhaus wegen einer fetten Lungenentzündung. Corona war zum Glück nicht der Fall, aber da ging eine ganz ganz fiese Grippe um und die hat uns dann leider gegen Ende auch erwischt. Und gerade die Show in Nürnberg war einfach Horror… Ich hatte einen Eimer auf der Bühne und habe mitten in den Songs fast auf die Bühne gekotzt, während die Anderen auch nur wie ein Schluck Wasser rumhingen. Es war ein Wunder, dass die Leute überhaupt noch mitgegangen sind, aber ihnen hat es scheinbar trotzdem gefallen. Nur für uns war’s nicht so der Hammer (lacht).

Die Pandemie hat uns allen ja schon viel abverlangt… Konntest du der Zeit auch etwas Positives abgewinnen?

Timo: Für uns als Band nicht so viel, weil wir vorher schon recht stark digital aktiv und auch auf Social Media enorm viel unterwegs waren. Daher nein, für uns nicht so sehr. Uns fehlt halt einfach der geilste Teil von dem Ganzen… Es bleibt halt viel, was echt Arbeit ist und vielleicht gar nicht so viel Spaß macht. Die ganze Zeit Social Media Posts machen und den ganzen Kram, den man vielleicht braucht, ist mal schön, aber manchmal auch nervig. Und wenn man dann die Liveshows hat, machen die das wieder wett. Jetzt fehlen die halt, das nervt. Aber ich glaube, so allgemein war das für viele andere Bands einen Tritt in den Arsch, jetzt aktiver zu werden und was zu machen. Wenn ich mir allein schon anschaue, wie viele Bands - wir ja jetzt genauso - auf Twitch aktiv geworden sind oder ständig Instagram-Lives machen oder ein Livekonzert streamen… Das finde ich schon cool, dass da einfach mehr passiert. Und ich habe das Gefühl, dass die Bands irgendwie stärker zusammenrücken und eben auch bei solchen Geschichten mehr miteinander machen, mehr Kooperationen, mehr Livestreams zusammen machen und so. Vorher war das immer eine stärkere Rivalität zwischen den Bands - was ich noch nie verstanden habe. Das fand ich schon immer dämlich, weil da hat niemand was davon, meiner Meinung nach. Ich hoffe, dass das vielleicht danach auch so bleibt, dass mehr gemeinschaftlich gearbeitet wird und weniger gegeneinander.

Noch eine Schlussfrage für alle, die eure Band noch nicht kennen: Wie würdest du Oceans in 3 Worten beschreiben?

Timo: Puuuh (lacht). Emotional, hoffnungsvoll und … krass! Oder so (lacht).

Dann danke ich dir! Bleibt gesund und viel Erfolg weiterhin!