Satire darf alles? Bremerhaven- Zu Beginn seiner Kay-Ray-Show wirkte am 23. Mai 2015 alles noch recht harmlos. Das TiF- Bremerhaven war bis auf den letzten Platz ausverkauft. Fast genau vor einem Jahr gastierte Kay Ray bereits im Theater am Fischereihafen. Einige im Publikum diskutierten bereits vor der Show, wo man sich außerhalb des Theaters trifft, falls es wie im letzten Jahr zu derbe wird. Offensichtlich muss der Künstler doch eine gewisse Anziehungskraft haben, sonst wären sie doch nicht ein zweites Mal gekommen? Wer ihn schon mal gesehen hat oder sich wenigstens vorher informiert hat, erwartete den Paradiesvogel Kay Ray mit bunten Haaren, schriller Kleidung und farbenfrohem Make up. An diesem Abend mochte der skandalträchtige Edelpunk aus Osnabrück es offensichtlich weniger bunt. Schwarz gekleidet, mit einem Pullover mit Stahlplatten aus der Car-Pimping-Collection und blondierten Haaren. Das Publikum erwartete eine schräge Show und derbe Sprüche. Ja, die wurde ihm geboten. Der fast 50-jährige Kay, der offen zu seiner Bisexualität steht und kein Blatt vor den Mund nimmt, begann mit einem Lied. Ausgesprochen gut gesungen, was die Zuschauer auch gleich durch Mitklatschen honorierten. Es verwundert keinen, das die Wurzeln des Künstlers mit eigener Late-Night-Show im Schmidt-Theater an der Hamburger Reeperbahn liegen. Seinen ersten Auftritt in Frauenkleidern absolvierte Kay Ray 1984 auf dem runden Geburtstag des Vaters seiner damaligen Freundin. Fünf Jahre später trat er das erste Mal als Travestiekünstler im Pulverfass-Cabaret auf. Die Show-Tunte erzählte Witze über Heteros, Schwule, Randgruppen sowie A-, B- und C-Promis, sprach über Politik und aktuell diskutierte Themen. Es dauerte aber nicht lange, bis die Grenze der Gürtellinie unterschritten wurde. Als der Comedian das Smartphone einer Zuschauerin sah, borgte er es sich mal kurzerhand aus um Selfies zu machen. Wie nicht anders erwartet, wanderte das mobile Telekommunikationsgerät dabei einmal durch seine Unterhose um es nach zahlreichen Fotos der Zuschauerin wieder mit spitzen Fingern auszuhändigen. „Wenn du bei Facebook raus fliegen willst, kannst du die Bilder da ja einstellen“ witzelte er. Er zündete sich eine Zigarette nach der anderen an. Der Bassist polterte mit einer Kiste Bier auf die Bühne, überreichte jedem seine Flasche und es wurde angestoßen. Und nach jedem Schluck Bierchen wurde dann auch kräftig gerüpst. Dann ein Lied „Gute Nacht Freunde... und ein Glas im stehen...“ Ab da wurde das Niveau erst mal für die nächsten Stunden ganz unten angesiedelt. Wenn er gefragt wird, warum er seine Show immer so lang mache, dann antwortet er immer: ,Weil ich es kann!“ Kay Ray, der seinen bürgerlichen Namen nicht nennen will, sprach aus, was sich der Normalbürger nicht traut. Ihn als platt und vulgär abzutun, wird dem Entertainer aber nicht gerecht. Denn erst die Mischung aus provokanten Witzen, anrüchigen Geschichten und Gesangseinlagen machen den Abend im TIF zum Erlebnis. Und so machte er sich daran, jegliche Schranken des Humors einzureißen. Es ist schwierig, den ehemaligen Friseur in eine passende Schublade zu stecken. Es gibt wohl gar keine in die er paßt, denn der schrille Paradiesvogel spielt in einer Klasse für sich. Kay Ray polarisiert, provoziert und hat "ungeschützten Publikumsverkehr". Im Süddeutschen wurde der Zutritt zu seiner Show den unter 18-jährigen untersagt. |
Immer wieder verwandelte Kay sich zum Entertainer und heizte die Stimmung an, indem er Schlager anstimmte und das Publikum mitsingen ließ. Neben Kate Bush, Milva oder Billy Joel waren aber auch aktuelle Chartbreaker dabei. Begleitet wird die Show von Kay Rays vierköpfiger Band unter der Leitung von Fabian Schubert am Flügel (bekannt aus Inas Nacht). Singen kann er, das hat er an diesem Abend bewiesen. Und während dieser sich noch fragt, ob man wirklich darüber lachen darf, feuert der Edelpunk die nächsten Gags ab. Tabus kannte er nicht. Ob Behinderte, Politiker oder Personen, die direkt vor seiner Nase sitzen. "Ich weiß, wir haben auch Ostdeutsche hier – es liegt ein Hauch Armut in der Luft." Man ertappt sich dabei, wie man sich selbst fragt: „Wie provokant darf ein Comedian sein? Ist das witzig und darf ich das witzig finden? Ist das obszön oder unmoralisch? Egal ob Witze über Frauen, Männer, Papst, Contergan-Kinder, Moslems, Schwule oder Lesben - warum eigentlich nicht drüber lachen?“ Er wandelte stets am Rand der Toleranz. Und gerade Toleranz war sein großes Thema an diesem Abend. Seine Texte hatten viel Witz und zeugten von großer Beobachtungsgabe, aber vieles war dann sehr versaut um es hier wieder zugeben. Als eine Zuschauerin Richtung Ausgang ging, fragte er sie, warum. Sie antwortete „Überschuss an Harn!“ Nach einem kurzen „Hat sie das wirklich gesagt? Die ist gegangen? Will jemand hier vorne sitzen?“ Er stimmte kurzerhand das Lied „Eine Frau geht auf Toilette (inhaltlich, der Wortlaut war etwas derber)“ an. Als die Zuschauerin mit 4 Bierflaschen im Arm wieder zurück kam, war das Lied noch in vollem Gange. Die Pause wurde erst gegen 21:45 Uhr eingeläutet. „Wenn mein Humor zu hart war, können sie mir in der Pause eine klatschen“ forderte Kay Ray das Publikum auf, welches sich fragte, bleiben wir noch, wird er wie oft ganz nackt auf der Bühne stehen oder eine Whiskey-Flasche mitbringen und sie leertrinken? Man kann Kay mögen oder nicht, dazwischen gibt es nichts. Er ist wohl nichts für jedermann, Fans hat er aber trotzdem. Für abgehärtete Fans von derbem Humor sicher ein Muss, einige krümmten sich vor lachen. Alle anderen hätten einen gemütlichen Abend auf der eigenen Couch vorziehen und den European Song Contest 2015 anschauen sollen. Die Besucher im TiF gehörten offensichtlich zur ersten Gruppe, den sie haben lange durchgehalten, gelacht, mit gesungen, mit geklatscht und ihn mit viel Beifall bedacht. |
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