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Die sieben oder acht Leben der Stella Fortuna

von Juliet Grames

Die Autorin Juliet Grames erklärt in dieser Familiensaga in einem längeren Vorwort die Schwierigkeit der Recherche im eigenen Verwandtschaftsumfeld, sowie die Suche nach der einzig wahren Geschichte um Stella Fortuna. Stellt doch jeder noch lebende Zeitzeuge die Geschichte aus seiner Perspektive dar. Besonderes Einfühlungsvermögen und Taktik sind gefragt, da zwei einst unzertrennliche Schwestern, Stella und Tina, seit 30 Jahren kein einziges Wort gewechselt haben.

Juliet Grames wuchs in einer amerikanisch-italienischen Familie auf, so konnte sie für ihre Recherche über die italienischen Einwanderer kurz vor dem 2. Weltkrieg sehr authentisch berichten. Stella Fortuna wird kurz nach dem 2. Weltkrieg in einem kleinen, abgelegenen Örtchen namens Levoli geboren. Sie ist die 2. Tochter von Assunta und Antonio. Ihre erste Schwester starb an der Grippe im Kleinkindalter. Ihre abergläubische Mutter gibt auch der Zweitgeborenen den Namen der vor 5 Jahren verstorbenen Schwester.

Deshalb ist wohl die lebende Stella vom Pech des „bösen Blicks“ verfolgt – oder von einem Glücksengel beschützt, das mag im Auge des Betrachters liegen. Stellas Mutter jedenfalls versucht mit Beschwörungsgebeten und Minzessträußen den bösen Blick und die immer wiederkehrenden schweren Unglücksfälle von Stella Fortuna abzuwenden. Mehrere Nahtoderfahrungen und das medizinische Können des Hausarztes machen aus schönen Stella eine halbe Heilige in dem kleinen Bergdorf.

Das Leben der Frauen und Mädchen in diesem patriarchalischen Zeiten wird sehr eindringlich und zum Teil sehr brutal und drastisch geschildert. Der kleinen Familie, die mehr und mehr wächst, geht es am besten, wenn der Vater Antonio nicht im Dorf ist. Er geht nach Amerika, um Arbeit zu suchen. Assunta und die Kinder kämpfen sich alleine durch, Antonio schickt ihnen kein Geld aus Amerika.

Sehr sporadisch kehrt er nach Kalabrien heim, schwängert Assunta, denn es müssen nach Stella und Tina ja Söhne geboren werden. Stella gerät regelmäßig mit dem herrischen Vater aneinander, sie ist für eine Tochter zu damaligen Zeiten zu unabhängig und zu schlau. Irgendwann möchte Antonio Stella verheiraten, um ihr die Flausen auszutreiben. Die Familie kann erst aufatmen, wenn er wieder über das Meer nach Amerika reist. Doch es kommt der Tag, an dem Antonio seine Familie nach Amerika beordert. Assunta und die Kinder müssen ihre geliebte Nonna, die Großmutter, und ihren kleinen Hof aufgeben.

In Amerika leben sie in sehr beengten Verhältnissen, Schläge vom Vater sind an der Tagesordnung, besonders für Stella. Sie hofft immer noch, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, als unabhängige und unverheiratete Frau leben zu können. Durch mehrere traumatisches Erlebnisse in der Kindheit hat sie Angst vor der Ehe, vor Männern und besonders vor einer Schwangerschaft. Die italienischen Einwanderer bleiben unter sich in Little Italy, so müssen die Schwestern und der Rest der Familie die amerikanische Sprache sehr langsam erlernen, bessere und gut bezahlte Fabrikarbeit gibt es erst nach dem Einwanderungstest, damit geht auch die Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft einher. Stella und Tina schaffen diese Hürde auch durch die Hilfe von Carmelo, einem Freund der Familie.

 
Gesamtbewertung:

Erscheinungstermin: 02.09.2019


Genre: Familiensaga
Einband: Fester Einband
Seitenzahl: 496 Seiten
ISBN: 9783426282120

Autorin: Juliet Grames wurde in Hartford, Connecticut, geboren und wuchs in einer amerikanisch-italienischen Familie auf.

Sie ist Lektorin bei Soho Press in New York, wo sie als Verlagsleiterin ein Krimi-Label verantwortet. Dieser Roman ist ihre erste Veröffentlichung.

Tina heiratet einen Italiener, alles bleibt in diesem Kulturkreis, auch die zähen Hochzeitsverhandlungen die Antonio für Tina führt, hier wird eine Tochter und ihre Jungfräulichkeit hoch gehandelt. Stella glaubt zu diesem Zeitpunkt immer noch an ein unabhängiges, selbst bestimmtes Singleleben. Heimlich zweigt sie Geld von ihrem Arbeitslohn ab. Eigentlich müssen die Kinder der Familie alles an den Vater abgeben. Nach Lust und Laune teilt er der Familie Taschengeld zu. Nachdem Tinas Ehemann Rocco Antonio das Geldversteck verrät, kommt es zum brutalsten Übergriff des Vaters auf Stella. Die ganze Familie stellt sich gegen die junge Frau. Sie kann einer Zwangsheirat nichts mehr entgegensetzen. Sie ist nie allein, die Familie überwacht sie. Ihre Taktik, die fügsame Braut zu spielen, geht nicht auf. Die gebrochene und unglückliche Frau passt nicht mehr in das heutige, westliche Frauenbild. Allerdings ist es doch noch zu häufig auch hier anzutreffen. Die mentale und materielle Abhängigkeit ist immer noch zu groß.

FAZIT: Juliet Grames ist eine eindringliche, manchmal sehr schonungslose Familiengeschichte gelungen. Auf manchen Seiten dann sehr langatmig, aber schon sehr schnell wieder ein fesselndes Schicksal der Stella Fortuna. Man möchte ihr mehr als einmal zurufen: „Stella – du bist doch die Stellaschwester mit viel Fortune – Lauf doch weg, baue dir dein eigenes Leben!“ Doch sie fordert ihr Glück einmal zu wenig heraus.

 

Verlag: Droemer