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Besuch aus ferner Zeit

von Katherine Webb

Inhalt/ Klappentext: Liv Molyneaux ist gerade in das alte Haus ihres Vaters in Bristol gezogen. Er ist verschwunden und Liv glaubt nicht an die Theorie der Polizei, dass er Selbstmord begangen hat. Sie hofft, zwischen Martins Sachen in der Wohnung und der Buchbinderwerkstatt einen Hinweis zu finden. Neben der Trauer um ihr totgeborenes Kind wird Liv nachts immer wieder von seltsamen Geräuschen und dem Weinen eines Babys geweckt. Ist das alles Einbildung, oder steckt mehr dahinter?

Rezension: Liv befindet sich in einer Lebenskrise, sie leidet an Depressionen nach einem schweren Verlust. So kommt es ihr ganz Recht, dass sie sich nach Bristol in den Buchbinderladen ihres Vaters zurückziehen kann. Der kleine Laden mit der Wohnung im ersten Stock, ist der Rückzugsort für ihren Vater gewesen, der sich schon lange von Livs Mutter getrennt hat. Dieses Ladengeschäft war aber gleichzeitig ein kleines Cafe, so taucht auch immer wieder ein Clochard auf, der hier seinen Tee trinkt und immer wieder nach einer Frau fragt, doch niemand hier im Umfeld hat je von dieser Frau gehört.

Auch Livs Vater litt unter Depressionen, er ist spurlos verschwunden, die Polizei geht von Selbstmord aus, doch einen Leichenfund gab es bisher nicht. Liv hört immer wieder Stimmen, sie irrt in der Nacht durch Bristols Gassen auf der Suche nach ihrem Vater, aber auch den wispernden Stimmen und Gestalten folgend, die ihr zunehmend den Schlaf rauben.

Eine dieser armen Gestalten ist eine zerlumpte alte Frau, ihre Geschichte erzählt die Autorin in einem zweiten Erzählstrang, sie ist eine Besucherin aus einer fernen Zeit, um das Jahr 1831. Zu dieser Zeit herrschte noch reger Sklavenhandel in England mit all seiner Ausbeutung und Ungerechtigkeiten gegenüber diesen Menschen, verschleppt aus den Kolonien in das kalte Land der weißen Herrscher. Beide Erzählstränge werden verknüpft, so ergibt sich langsam eine Geschichte, die die Hintergründe um Liv und der Frau auf der Treppe nach und nach vereint. Den beide Frauen haben ein gemeinsames und verstörendes Ereignis durchlitten.

Fazit: Katherine Webb hat in diesem, historisch sehr gut recherchierten Roman, einen, für sie ungewöhnlichen Erzählstil gewählt.

Die Protagonistinnen und ihre Bezugspersonen sind sehr bildhaft und reell geschildert, zum Teil schockierende Erlebnisse und Plätze lassen den Leser in eine düstere Welt eintauchen, ohne Hoffnung auf ein gutes Leben. Doch die Arroganz und Überheblichkeit der damaligen Oberschicht lässt dies nicht zu. Anfangs etwas ausschweifender Erzählstil, besonders im historischen Teil. Man fragt sich hin und wieder, was möchte die Autorin hier vermitteln, aber nach einigen Kapiteln legt sich dieses Lesegefühl. Man wünscht sich dann mit jeder Buchseite eine Erlösung bzw. Lösung für die beiden Frauen.

Beileibe kein weicher Country Style Roman, auch wenn es der zauberhafte Bucheinband suggeriert, sondern ein spannendes Werk zu Themen wie posttraumatische Depressionen und, im zweiten Erzählstrang zur historischen unrühmlichen Vergangenheit Englands im Menschenhandel der Kolonialzeit. Als Schmöker, wie der Roman durch den Werbeaufkleber auf dem Einband bezeichnet wird, möchte ich dieses hochinteressante Werk über versteckte Depressionen und historische Schilderungen aus den Jahren um 1830 nicht deklarieren.

 
Gesamtbewertung:

Erscheinungstermin: 10.05.2021
Genre: Historischer Roman

Einband: Gebundenes Buch
Seitenzahl: 576 Seiten
ISBN: 978-3-453-29249-9

Autorin: Katherine Webb, geboren 1977, wuchs im englischen Hampshire auf und studierte Geschichte an der Durham University.

Auf ihr großes internationales Erfolgsdebüt »Das geheime Vermächtnis« folgten weitere SPIEGEL-Bestseller-Romane.

Nach längeren Aufenthalten in London und Venedig lebt und schreibt sie heute in der Nähe von Bath, England.

   

Verlag: Diana Verlag