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Die Kinder hören Pink Floyd

von Alexander Gorkow

Inhalt/ Klappentext: Die 70er-Jahre. Eine Vorstadt. Das Westdeutschland der letzten Baulücken, der verstockten Altnazis, der gepflegten Gärten. Die Kriegsgräuel sind beiseitegeschoben, zum Essen geht es in den Balkan Grill, die Einbauküche daheim überzeugt durch optimale Raumnutzung. Für den 10-jährigen Jungen aber ist es eine Welt der Magie, der geheimen Kräfte, des Kampfs des Bösen gegen das Gute. Der Leitstern des Jungen in diesem Kampf ist die große Schwester – das Kind Nr. 1 der Familie. Sie ist herzkrank und sehr lebenshungrig. Mit trockenem Humor und großer Aufsässigkeit stemmt sie sich gegen alle Bedrohungen, nicht zuletzt mithilfe der vergötterten Band Pink Floyd aus dem fernen London, den Kämpfern gegen das Establishment, deren Songs alles zum Glänzen bringen.

Rezension: Echte oder vermeintlich echte Biografie angelehnte Romane sind im Trend. Im Roman »Die Kinder hören Pink Floyd« beschreibt Alexander Gorkow (s)eine Kindheit im Deutschland der Siebzigerjahre mit Ausläufern in die musikalische Wirklichkeit. Ein stotternder Außenseitertyp, dem auch noch ein Junge mit Down-Syndrom anvertraut wird. Seine Mittelschichtsfamilie in der niederrheinischen Provinz besteht aus Vater, Mutter, Schwester. Der Vater geht in die Firma, unddie Mutter geht in die Parfümerie und kauft ein. Dort schlägt sich der Ich-Erzähler mit den Augen eines Kindes durch die bleierne Tristesse der biederen Landeshauptstadt Düsseldorf.

Es ist auch eine Hommage an Pink Floyd, eine Abrechnung mit Roger Waters. Die Musik der britischen Band durchzieht die Kindheit des Erzählers und Autors und wird ihn auch später begleiten. Die ältere, 16-jährige Schwester erläutert dem Bruder, dass diese Band für die Auflehnung gegen »das Establishment«, das Wort steht für Gier, Feigheit, Charakterlosigkeit und welches gegen »das System« steht. Von seiner Schwester übernimmt das häufig tagträumende Kind den Musikgeschmack.

Humorvolle Wohnzimmer-Szenen vor der ZDF-Hitparade gehen über in abstruse, phantastische Gruselgeschichten über berühmte Persönlichkeiten wie Heino oder The Sweet und immer Gorkows Sehnsuchtsfantasien in die regenbogenfarbene Musikkwelt.

Fazit: Trotz anfänglicher Schwäche ein gutes, komplex erzähltes, bewegendes Buch. Ein bisschen wie der Film "Sonnenallee" begleitet das Buch durch eine längst vergangene Zeit. Es ist alles so authentisch und so gut beschrieben. Der Roman ist oft witzig, hat aber auch oft einen ernsten Hintergrund. Es werden aber viele Themen angeschnitten und Szenen durcheinandergewürfelt, eine eher unzusammenhängende Aneinanderreihung von Episoden. Man muss sich an seine Erzählart und Sprache gewöhnen.

Sein ehemaliges Idol Roger Waters traf der Autor und Journalist vor ein paar Jahren persönlich, kurz nachdem der sich mit antisemitischen Aussagen über Israel unbeliebt machte. Dieses Treffen beschreibt Gorkow im Epilog. Es ist die Entthronung seines (ehemaligen) Helden. Roger Waters hat mit seinen umstrittenen Äußerungen heute genau den Konservatismus verkörpert, gegen den die Band angesungen hat.

Dem Pink Floyd-Fan werden die atmosphärischen Beschreibungen verschiedenster Pink Floyd-Songs gefallen. Pink Floyd bleibt zeitlos und die Kinder werden hoffentlich auch weiterhin Pink Floyd hören. Leider kamen sie in dem Buch etwas zu kurz. Dieses Buch hat aber trotzdem viel mit uns allen zu tun.

 
Gesamtbewertung:

Erscheinungstermin: 11.02.2021
Genre: H
Einband: Flexibler Einband
Seitenzahl: 192 Seiten
ISBN: 978-3-462-05298-5

Autor: Alexander Gorkow, geboren 1966, arbeitet seit 1993 bei der Süddeutschen Zeitung. Buchveröffentlichungen: »Kalbs Schweigen« (2003), »Mona« (2007), »Draußen scheint die Sonne. Interviews« (2008), »Hotel Laguna« (2017). Als Herausgeber: Till Lindemanns »In stillen Nächten« (2013) und »100 Gedichte« (2020).

Verlag: Kiepenheuer&Witsch