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Kommt ein Syrer nach Rotenburg (Wümme)

von Samer Tannous und Gerd Hachmöller

Inhaltsangabe: Samer Tannous kam 2015 mit seiner Familie aus Damaskus und lebt seitdem im beschaulichen Städtchen Rotenburg an der Wümme. Dass das Leben in Deutschland deutlich anders sein würde als in der syrischen Heimat, darauf war Tannous vorbereitet. Aber wie vielfältig die kleinen und die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Arabern und Deutschen sind, das erstaunt ihn immer wieder.

Anknüpfend an alltägliche Beobachtungen und Begegnungen hat er kurz nach seiner Ankunft begonnen, gemeinsam mit Gerd Hachmöller seine Gedanken über die neue Heimat in Deutschland aufzuschreiben. Die Kolumne, die aus diesen Texten hervorging, hat deutschlandweit viele Fans – auch weil es Tannous und Hachmöller immer wieder gelingt, die mitunter seltsamen Eigenheiten der Deutschen ebenso treffend wie warmherzig einzufangen.

Rezension: Das beschauliche Städtchen Rotenburg an der Wümme ist nicht die ehemalige quirlige Großstadt Damaskus. Dies merkt die Familie Tannous recht schnell, als sie nach ihrer Flucht aus Syrien hier in Niedersachsen landen. Oft vermisst Samer das Stadtleben, besonders nach Besuchen in Hamburg. Aber es gibt natürlich die Sicherheit und die Überschaubarkeit, sowie die Gemeinschaft durch Schule und Sportvereine und natürlich der Sprachkurse im Integrationsbereich. Die Familie macht rasch Fortschritte, denn sie wollen sich integrieren, denn dies ist ist eine Voraussetzung, um hier zu arbeiten. Hala, Tamers Ehefrau, legt ihre deutsche Führerscheinprüfung mit Bravour sogar vor ihrem Ehemann ab.

Als syrische Christen fällt dem Ehepaar die Akzeptanz von Frauen im Berufsleben und in der Gesellschaft wesentlich leichter, als den moslemisch geprägten Familien. Immer wieder kommt Samer mit seiner weitschweifigen und blumigen Sprache, nun natürlich in Deutsch, nicht sehr weit bei seinen wortkargen Wohnungsnachbarn. Einen ganzen Tag bereitet er sich darauf vor, seinem Nachbarn ein Paket zu übergeben. Als der Nachbar klingelt, um sein Paket in Empfang zu nehmen, spult Samer seinen Text ab. Der Nachbar jedoch, müde vom Arbeitstag, sagt nur ein knappes „Danke“. Das ist für einen kommunikativen Araber schon eine Beleidigung.

Auch das leidige Thema Mülltrennung ist für jeden ausländischen Gast ein sehr brisantes Thema. Es ist natürlich so, dass auch viele Deutsche da nicht wirklich fehlerfrei trennen. Doch der syrischen Familie wird durch den Blockwart gleich ein gelber Verwarnzettel an die Wohnungstür geklebt. Persönliche Ansprache ist da sicherlich der bessere Weg.

Auch das Mysterium der arabischen Geburtstage direkt am 01.01. eines Jahres wird hier erklärt, nun macht es Sinn. Einschulungsfeste und kirchliche Feiertage, Kindergeburtstage, die Adventszeit – all dies sind die schönen Dinge in Deutschland, die die Familie mittlerweile genießt. Und das überaus dankbar.

Musik- und Kulturliebhaber Tamer lernt auch das berühmte Hurrikane Festival in seinem Arbeitsort Scheeßel kennen und lieben. Tausende von Jugendlichen und Junggebliebenen feiern friedlich in Gummistiefeln. Eine ganz neue Erfahrung. Und auch das Familienfestival „A SummersTale“ in Luhmühlen verzaubert Familie Tannous mit den Konzerten und vielfältigen Spiel- und Mitmachaktionen. (Siehe unsere Festivalberichte auf Nordevents).

FAZIT: Eine lose Sammlung von Kolumnen, welche bereits im Spiegel veröffentlicht wurden, zusammengetragen in einem Buch.

Sehr witzige und warmherzige Gebrauchsanleitung für Migranten und für deutsche Mitbürger. Manche Schrulligkeit auf beiden Seiten wird dargestellt, aber nie mit einem Vorwurf, sondern der Versuch Verständis für jeden zu erwirken, so kann auch manches Missverständnis ausgeräumt werden.

Letztendlich muss sich der „Deutsche“ auch nicht auf den Schlips getreten fühlen, denn der Autor findet doch sehr viel Lobendes und Fortschrittliches in seinem Gastland – und wenn es das Wasser sparen ist, der Nebenkostenabrechnung sei Dank. Tannous sieht auch einige Landsleute kritisch, die sich nicht integrieren möchten, dies wird in einigen Abschnitten erwähnt. Und natürlich spielt der eigene Bildungsstand eine nicht unerhebliche Rolle.

Aktuelle Themen machen dieses Buch zu einer abwechslungsreichen und launigen Lektüre.

 
Gesamtbewertung:

Erscheinungstermin: 02.03.2020
Genre: Kolumnenband
Einband: Gebundene Ausagabe
Seitenzahl: 240 Seiten
ISBN: 978-3-42104861-5

Autorenduo: Samer Tannous wurde in 1970 in Al-Bayda (Syrien) geboren. Er studierte in Nancy und Damaskus französische Literatur und arbeitete als Dozent für französische Sprache und Literatur an den Universitäten Damaskus und Hama. Im Dezember 2015 kam er mit mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern nach Deutschland und lebt seitdem im niedersäch-sischen Rotenburg (Wümme). Nachdem er im Eigenstudium die deutsche Sprache erlernt hat, arbeitet er seit Sommer 2016 als Französischlehrer.

Gerd Hachmöller wurde 1972 in Celle, Niedersachsen geboren ist Stabstellenleiter in Rothenburg unter ist unter anderem für die Themen Migration und Integration zuständig. Im Jahr 2015 leitete er die Einrichtung und den Betrieb einer Notunterkunft für Geflüchtete. Nebenberuflich arbeitet Gerd Hachmöller auch als Dozent und Autor. Schwerpunkt seiner Dozententätigkeit ist der Umgang mit kulturellen Unterschieden sowie die Psychologie des Helfens.

   

Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt