Unabhängige Buchbesprechungen

Die verlorenen Töchter

von Hannelore Hippe

Inhalt: "Was an meinem Leben ist wirklich - und was nicht?" Im Sommer 1945, kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, bringt die junge Åse Evensen im norwegischen Tromsø ihre Tochter Katrine zur Welt. Åse wird als "Tysketøser" verachtet, als "Deutschenflittchen", weil sie sich mit einem deutschen Besatzungssoldaten einließ. Sie musste in ein Straflager und Kathrin wuchs unter anderem Namen in einem ostdeutschen Waisenhaus auf. Erst viele Jahre später erfährt sie die Wahrheit über ihre Herkunft. Als sich Katrine im Sommer 1970 heimlich auf die Suche nach ihrer leiblichen Mutter macht, bricht sie - ohne es zu ahnen - zu einer Reise auf, die sie in höchste Gefahr bringt.

Rezension: 1970 wird im Isdal, nahe Bergen die verkohlte Leiche einer Unbekannten gefunden. Dieser wahre Kriminalfall ist bis heute nicht aufgeklärt. Hannelore Hippe nimmt diesen mysteriösen Todesfall zum Anlass für ein hervorragend recherchiertes Familiendrama über fast drei Generationen und erzählt in zwei Zeitsträngen. Eine Person erzählt die Begebenheiten in der „ICH-Form“. Erst zum Ende des Buches wird klar, welche Person denn da seine Geschichte erzählt.

Die deutsche Wehrmacht besetzt Norwegen bis in die kleinsten Inseln hinein. Norwegische junge Frauen die sich mit einem deutschen Soldaten einlassen werden als "Tysketøser – Deutschenflittchen" von ihren Landsleuten beschimpft. Manche lassen sich auf das Verhältnis ein, um ihre Familien besser unterstüzten zu können. Alleine Zigaretten haben einen unschätzbaren Wert auf dem Tauschmarkt. Åse, die aus einem Dorf weit ab der Stadt Bergen kommt, hat hier eine Anstellung gefunden, sie verliebt sich in Kurt, einen deutschen Soldaten. Sie können sich nur an einem geheimen Ort treffen. Als sie schwanger wird, verspricht Kurt ihr die Heirat in Deutschland. Doch das junge Liebespaar wird von einer neidischen Arbeitskollegin verraten. Auch Åses Bruder, der im Widerstand kämpft, stellt sich gegen seine Schwester. Kurt wird versetzt, Åse und andere junge, schwangere Frauen kommen in ein Insellager, wo sie Zwangsarbeit verrichten müssen. Åse bekommt eine Tochter, sie nennt sie Kathrin. Die Kinder der ledigen Frauen kommen in ein Heim in Deutschland bei Dresden. Durch die Kriegswirren in Deutschland und die Zerstörung von den Städten gehen viele Unterlagen über diese Heimkinder verloren, auch Adoptionspapiere werden wissentlich vernichtet oder fallen den Flammen zum Opfer. Dazu kommt noch der angenehme, klare und lebendige Schreibstil, der mich das Buch fast nicht mehr aus der Hand legen ließ. Dieser Roman hat mich von Anfang an fasziniert und mein Interesse am doch sehr schwierigen und leidvollen Thema Lebensbornkinder geweckt. Das Buch, das ich sehr gerne gelesen habe, "passt" von Anfang an, es nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise in die Vergangenheit und bringt ihn wieder zurück mit Eindrücken, die zum Nachdenken anregen.

Kathrin erfährt erst spät von ihrer Adoption. Sie macht sich nach 25 Jahren auf die Suche nach Norwegen in der Hoffnung ihre leibliche Mutter zu finden. Das dies eine gefährliche Reise wird, ist im Vorhinein nicht absehbar. Denn auch so lange nach Kriegsende leiden viele Familien noch unter dem Verlust und den Grausamkeiten eines Krieges. Etliche Personen möchten auch heute noch nicht, das unbequeme Wahrheiten ans Licht kommen.

 
Gesamtbewertung:

Erscheinungstermin: 19.06.2020
Genre: Familiensaga
Einband: Flexibler Einband
Seitenzahl: 224 Seiten
ISBN: 978-3-423-21835-1

Autor: Hannelore Hippe ist freie Autorin und Journalistin und arbeitet hauptsächlich für den Hörfunk. Neben zahlreichen Radio-Features schreibt sie Hörspiele, Romane und Kurzgeschichten. Unter dem Pseudonym Hannah O'Brien veröffentlicht sie bei dtv ihre erfolgreiche irische Krimi-Reihe um die Ermittlerin Grace O'Malley.

FAZIT: Ein absolut empfehlenswertes Buch zu einem unrühmlichen Kapitel in der Geschichte Norwegens und Deutschlands. Bis dato war mir das Schicksal der jungen Frauen aus Norwegen und ihrer Kinder gänzlich unbekannt.

Hannelore Hippler beschreibt sowohl die Menschen als auch die Settings in Norwegen in einer sehr schönen reinen und ruhigen Sprache. Aber sie schildert auch die Nöte der Menschen in dieser Zeit sehr eindrucksvoll und einprägend. Diese unbequeme Zeitreise bekommt eine uneingeschränkte Leseempfehlung gegen das Vergessen.

 

Verlag: dtv Verlag