Anpfiff für „Das Wunder von Bern“

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Hamburg – Einen Tag vor der Weltpremiere durften wir am 22.11.2014 das neue Stage-Musical erleben. Es basiert auf dem gleichnamigen Kinofilm von Sönke Wortmann und erzählt eine bewegende Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahre 1954, bei der Deutschland überraschend den Titel gegen die Ungarn gewann.

Zwar bilden die Ereignisse rund um die Fußball-Weltmeisterschaft den roten Faden, doch vor diesem Hintergrund entsteht ein Bild der Zeit. Es geht um das Schicksal einer Familie, die durch den Zweiten Weltkrieg zerrissen wurde, um eine Fußball-Mannschaft, die über sich hinauswächst sowie um einen kleinen 11-jährigen fußballbegeisterten Jungen mit großen Träumen, der einen Helden sucht und seinen Vater (Detlef Leistenschneider) wiederfindet.

Und erstmals im deutschen Musical erzählt Deutschland von sich selbst. Über eine lädierte Nation die neun Jahre zuvor die Welt in Schutt und Asche gelegt hatte und nach neuem Selbstbewusstsein ringt.

Für rund 50 Millionen Euro hat Stage extra seinen Theaterneubau an der Elbe für die große Eigenproduktion gebaut. Diese kostete zusätzliche 15 Millionen Euro. Unter anderem wurden 600 Kostüme maßgefertigt. 33 erwachsene Darsteller sowie 40 Kinderdarsteller müssen für den laufenden Spielbetrieb vorgehalten werden.

Es ist ein spektakulärer Bau, der durch seine glänzende Außenhülle aus rund 7500 Edelstahl-Schindeln sowie eine gut zwölf Meter hohe Glasfront an einen Motorradhelm erinnert. Von hier aus hat man einen wunderschönen Blick auf die Hamburger Skyline am Hafen. Insgesamt 1850 Zuschauer sitzen maximal 30 Meter von der 350 Quadratmeter großen Bühne entfernt. Im zweigeschossigen Foyer hängen sehenswerte Werke namhafter Künstler und vor dem Theater zieht eine Elefanten-Skulptur von Salvatore Dali die Blicke auf sich.

Wer nicht mit der Fähre sondern mit dem Pkw anreist, stellt sich die Frage ob er seinen Wagen lieber kostenfrei in einem dunklen Industriegebiet abstellt oder den 6,- € teuren Platzplatz vom „König der Löwen“-Gebäude gleich nebenan nutzt. Da die Fähre im Preis inbegriffen ist, sollte es der Parkplatz unserer Meinung nach auch sein. Das Fotografieren während der Vorstellung war generell untersagt, daher findet ihr in der Bildergalerie lediglich Bilder "drumherum".

Die Adaption des Filmes war gelungen. Eine schöne, zum Teil traurige Geschichte in einer Ruhrpott-Psycho-Düsternis der 50er wurde erzählt. Orchester und Ensemble überzeugten wie erwartet auf professionellem Topniveau. Neben den Hauptdarstellern war Elisabeth Hübert als Anette Ackermann der Publikumsliebling bei den Nebendarstellern. Die Künstlerin, die bereits die Jane in Tarzan spielte, hatte auch einen dankbaren Part als hübsches Dummchen und Ehefrau eines Sportreporters der Süddeutschen. Verstand sie doch anfänglich gar nichts vom Fußball und wollte in den Flitterwochen lieber nach Italien oder Spanien als zum Fußballendspiel in die Schweiz.

Auch mit reichlich Augenzwinkern wurde Inszenierung gestaltet. So lernt das Publikum, dass Weltmeistertrainer Sepp Herberger (Mark Weigel) seine unumstößlichen Weisheiten à la „ Der Ball ist rund“ einer nächtlichen Begegnung mit der Putzfrau im Mannschaftshotel verdankt. Dieser „Geist von Spiez“ berät ihm bei der Aufstellung der Spieler, sie singt „Seien sie nicht so deutsch“, und bittet um Nachsicht im Hinblick auf die fehlende Disziplin von Helmut Rahn (Dominik Hees). Dazu wirbeln die Spieler als funkelnde Revue-Girls.

 

Insbesondere der Hamburger Kinderdarsteller Riccardo Campione (12) als Mattes begeisterte am Abend der Vorpremiere durch sein Können, zumal er durchaus auch mal alleine auf der Bühne ein Solo hinlegte. Nach der Aufführung spielte im Foyer eine Horde Kinder treppauf, treppab Fangen. Darunter auch der kleine Hauptdarsteller, der nun wieder richtig Kind sein durfte. Alleine für die Darstellung des Mattes gibt es für die 8 wöchentlichen Aufführungen acht Kinderdarsteller.

Hauptdarsteller (v. l). : Vera Bolten, Detlef Leistenschneider, Marie-Anjes Lumpp

Es gelang auf der sehr breiten Multifunktionsbühne auch ständig wechselnde, große Szenen atmosphärisch umzusetzen- mal lokaler Fußballplatz, mal Ruhrpott-Kneipe, mal Kirchenraum aber auch Spielerhotel, Bahnhof, Stadionkabine, Kohlegrube oder Autobus. Unzählige Motoren für 28 Züge der Dekoration sorgten für einen reibungslosen Ablauf.

Die Kulissen wurden von oben und von den Seiten eingefahren, aus dem Boden erhoben sich immer wieder unterschiedliche Requisiten oder ließen geschossene Fußbälle blitzschnell im Boden versinken. Eine große LED-Wand ermöglichte eindrucksvolle Effekte, weil damit sehr schnell neue Orte und Stimmungen entstanden. Mal rauchende Zechenschlote, mal schweizer Bergromantik. So konnte auch die Einfahrt des Zuges der Kriegsgefangenen in die Bahnhofshalle eindrucksvoll in Szene gesetzt werden. Insbesondere die visuelle Umsetzung des legendären Finalspieles mit einer senkrechten Videowand, vor der die Schauspieler an Seilen auf dem Fußballrasen zu laufen schienen, war sehr gut gemacht. Der Zuschauer sah Spielfeld und Ball aus der Vogelperspektive. Das Timing mußte absolut stimmen: Denn hängen die Spieler nicht auf der richtigen Höhe, konnten sie den virtuellen Ball nicht treffen.

Es bestanden vor der Aufführung einige Zweifel, das man das Endspiel einer Fußballweltmeisterschaft auf eine Musicalbühne bringen kann. Fazit nach dem Abpfiff: Die etwa 3 Stunden dauernde Musicalproduktion mit den Special Effects war rund wie der Ball und wirklich gut gelungen. Die Macher haben aber nicht den Fehler gemacht, Fußballspieler tanzen zu lassen oder in Kitsch abzugleiten. Stattdessen ließen sie bei den Trainings-Szenen von der favorisierten ungarischen Mannschaft akrobatische und rhythmische Trippelkunststücke à la "Stomp" vorführen.

Für alle, die eine kategorische Abneigung gegen gesungenes Theater haben, ist das Stück wohl nichts. Wer aber mit dem Musicalgenre etwas anfangen kann, erlebte eine gut gemachte Show. Manchmal gab es nur verhaltenen Applaus, nach einer besseren zweiten „Halbzeit“ und dem glänzenden Finale aber Standing Ovations. Am Folgetag fand die Weltpremiere mit dem obligatorischen Schaulaufen bekannter Persönlichkeiten wie Michelle Hunzinger, Oliver Kalkofe, Dagmar Berhoff, Jürgen Drews mit Familie oder das Gespann Delling/ Netzer statt. Das Musical muß mindestens 1 Jahr lang gut besucht laufen, um die Produktionskosten wieder einzuspielen.