Interview mit Jen Majura (Evanescence)

Von Gregor Eder

Es ist wirklich schon eine Weile her seitdem Evanescence ein neues Album geliefert haben. Am 26.03.2021 war es nun endlich wieder soweit und "The Bitter Truth" wurde von der Truppe veröffentlicht. Im Rahmen der Veröffentlichung hatte ich die Ehre mit Gitarristin Jen Majura, welche in der Band seit 2016 mit ihrer "Saiten-Gewalt" mächtig Gas gibt, etwas über das Album direkt am Release-Tag zu plauschen.

Jen und ich starteten mit Elan in das Interview und verstanden uns von der ersten Minute an so gut, dass wir uns erst nach einem Mini-Plausch über Gitarren, Lebensmittelvergiftung in Wien und Eisbrecher ein bekamen und auf Evanescence fokussierten.

So startete ich mit der Frage: "Amy hat in einem Interview, dass ich kurz angelesen habe gemeint, dass es ihr immer wichtig ist, dass das Album auch die Persönlichkeiten der Bandmitglieder widerspiegelt. Bei diesem Statement hat sich mir die Frage gestellt, was eigentlich die jeweiligen musikalischen Einflüsse der einzelnen Bandmitglieder sind. Besser gesagt was sind deine musikalischen Einflüsse von klein auf?"

"Uff.. , du fängst gleich mit einer guten Frage an. Zuerst einmal, mein persönlicher Musikgeschmack ist bei Evanescence fehl am Platz. Ich höre Prog-Rock und irres Zeug wie Panzerballet, Freak Kitchen, Dream Theater oder Suns of Apollo, doch das kann ich bei Evanescence doch nicht anbringen, um Gottes Willen. Ich glaube einfach das bei dem Album "The Bitter Truth" unsere Charaktere, also die der einzelnen Mitglieder, mitgespielt haben. Will ist eher auf Hardcore, ich bin eher aus der Death-Metal-Schiene, Troy ist eher so Old-School und hört eher Aerosmith und die Klassiker und Tim und Amy gehen eher in Richtung Muse, Electronic-Rock. Wenn du all diese persönlichen Einflüsse zusammenpackst kommt "The Bitter Truth" dabei raus." erklärte Jen.

Nachdem das geklärt war wurde es etwas technischer, da ich als Gitarrist einer "Gitarren-Göttin" wie Jen definitiv folgende Frage stellen musste: "Was war dein Gitarrenequipment am Album? Habt ihr viel herum-geswitched ?"

Jen schoss los: "Pass auf! Das Problem war ja: Ich hab ja im Januar letztes Jahr die NAMM Show in L.A. für Fishman gespielt und bin danach direkt nach Nashville geflogen und dann haben wir die ersten 4 Songs aufgenommen. Bei den vier Songs habe ich meine ganz normalen Live-Gitarren von Ibanez gespielt, ich hab mein Synergy-Amp Stack gespielt und da war alles noch normal. Dann passierte diese Scheiße. Equipment technisch hab ich mir dann gedacht, dass ich mein Senergy-Equip zu Hause auch aufbauen könnte, aber der Produzent hat dann doch im Endeffekt den Sound des Albums besser am Schirm. Daher haben wir dann mit DI und Re-Amping weitergemacht. Ich hatte ja leider nicht einmal eine Ahnung wie das Ganze im Studio klingt, ohne die Möglichkeit ins Land einzureisen."

Das klang sehr interessant, aber auch sehr simpel gelöst. Während Jen mir erklärte, warum DI und Re-Amping einfach besser war, schoss ich dazwischen und meinte, dass es ja auch heute nicht so ein großes Ding ist zu Re-Ampen und es gäbe ja sonst auch noch digitale Möglichkeiten. Auf diese Aussage reagierte Jen sofort mit: "Ja schon, aber ich bin da noch sehr old-school. So lange ich meinen Amp und die Box noch mitschleppen kann, spiele ich analog. Ich verwende zwar das Line6 Helix Pedalboard aber ich bin kein Fan von Modeling. Solange ich analog spielen kann werde ich analog spielen, es ist einfach ein anderes, ein besseres Gefühl."

Dieses Liebesgeständnis gegenüber dem Analogen führte zu einer kurzen Fachsimpelei über mein Stack, welches zufällig beim Interview neben mir stand und die Genialität von Synergy-Amps. "Um zurückzukommen aufs Album. Wie war das eigentlich mit der Komposition? Wurde alles schon vor der Pandemie komponiert und falls nein wie war es dann beim Komponieren, wenn man auf zwei verschiedenen Kontinenten sitzt?" lautete meine nächste Frage.

Jen schoss wieder los: "Im Prinzip wurden 3 Songs schon vor 10 Jahren geschrieben. Amy hat damals schon begonnen die Songs zu schreiben und wir hatten auch 2019 schon einiges in Canada entwickelt. Da waren wir alle gemeinsam in einem Raum und haben die Ideen zusammengeschmissen, wie eine Band halt Songs schreibt. So ist das Album in direkter Kooperation entstanden und jeder hat so seinen Senf dazugegeben. Klar und selbstverständlich hat Amy die meisten Ideen gebracht, aber es war schlussendlich ein sehr gemeinschaftliches Arbeiten. Als ich dann nicht mehr ins Land rein konnte, änderte sich dann alles. Es ist einfach anders wenn du nicht in dem Raum bist, wenn die Musik geschrieben wird bzw. entsteht.

 

 

 

Ich habe immer das bekommen was aufgenommen wurde und Amy hat mich per Mail am Laufenden gehalten und ich hab dann im Nachhinein meine Ideen dazu geliefert."


Pressefoto Evanescence

Das klingt nach einem interessanten und vielseitigen Prozess! Um auch auf die Texte etwas einzugehen, sagte ich: "Amy erwischt mich immer wieder auf sehr persönlicher Ebenen mit ihren Texten."

"Auf dem jetzigen Album gibt es da speziell den einen Song "Broken Pieces Shine", der für mich emotional und persönlich eine sehr starke Bedeutung hat. Der Song handelt im Prinzip von der schweren Zeit mit Pandemie und so weiter und ich weiß noch wie Amy den geschrieben hat. Der Song ist der mit der stärksten Bedeutung für mich. Aber ich kann den Song jetzt auch nicht nur alleine herausfinden, ich finde das ganze Album geil!" meinte Jen dazu.

Zum Abschluss kam ich noch zu einer etwas provokanteren Frage: "Ihr habt ja jetzt die Tour für 20021/22 angekündigt. Wie fühlt es sich an in der momentanen Situation eine Tour anzukündigen?"

Jen erklärte: "Die Tour war ja schon für letztes Jahr Frühjahr geplant, dann wurde sie in den Herbst verschoben. Jetzt ist sie verschoben auf dieses Jahr im Herbst. Ich sag es einmal so, wenn mich wer fragt ob ich die Tour spielen will sag ich auf jeden Fall ja natürlich, wir Musiker haben ja seit einem halben Jahr kein Leben mehr. Ich wünsche mir nichts mehr als das ich wieder mit Fans interagieren kann und einfach diesen Moment mit der Musik und den Menschen wieder erleben kann. Das kann einfach ein Live-Stream nicht ersetzen. Es ist schön, dass wir die Technologie haben und dadurch den Fans in der schweren Zeit trotzdem was geben können, aber es ist einfach nicht das Gleiche. Wenn mich jemand fragt, ob ich die Tour spielen will sage ich ganz klar ja. Wenn mich aber jemand fragt, ob die Tour stattfindet kann ich nur ehrlich sagen, dass ich es nicht weiß. Es ändert sich wöchentlich und keiner kann wissen wie es bis dahin aussieht."

"Deswegen hatte ich ja auch nach dem Gefühl zu dem Ganzen gefragt und nicht ob die Tour stattfindet. Es ist eben generell eine enorm unsichere Situation, aber im Grunde ist es schön zu sehen, dass so viele Bands trotz der nervenzehrenden Zeit standhaft bleiben." meinte ich dazu.

"Das gesamte Album ist ein enorm energetisch positiv geladenes Album. Du hörst heraus, dass 2020 einfach ein Scheißjahr war und wir haben auch in diesem Album einfach sehr viel verarbeitet. Die Wut, die Frustration oder auch was in Amerika passiert ist. Auch die ganzen Movements wie Klima oder BLM zeigen, dass die Welt in enormer Aufruhr ist. Ich würde sagen wir müssen als Menschheit weg von diesem "so tun als wären wir nicht was wir sind", weg von Filtern, weg von all dem "Fake". Wir sollten einfach akzeptieren, dass es zum Menschsein dazugehört einmal schwach zu sein, einmal verletzlich zu sein, blaue Flecken zu haben und so weiter. Wir sind in dieser Plastikwelt in der das alles angeblich nicht existiert. Wenn die Menschheit einfach einmal wieder dazu zurückkommt wieder real und echt zu sein, dann hat der Planet vielleicht die Möglichkeit, dass wir alle gemeinsam heilen und das ist "The Bitter Truth", erklärte Jen.

Der letzte Satz von Jen hätte nicht besser als Abschluss passen können! Unsere Zeit war leider kurz nach dieser wunderbaren Darlegung der Message hinter dem neuen Album "The Bitter Truth" zu Ende und so bedanke ich mich noch bei Jen für dieses feine Intervie,w bevor sie sich in die nächste Interviewrunde aufmachte. So ging wieder einmal ein sehr entspanntes und aufschlussreiches Interview zu Ende und so bleibt mir nun nur noch, euch das neue Album von Evanescence wärmsten ans Herz zu legen. Definitiv eine Scheibe die unter die Haut geht!

Die Rezension des Albums "The Bitter Truth" gibt es --> hier.