Interview mit Ross Godfrey von Morcheeba

Von Patricia Mikolasch

Ich hatte das große Vergnügen mit Ross Godfrey von Morcheeba zu reden. Nach einigem Hin- und Her konnten wir knappe acht Stunden später als vereinbart eine Runde schnacken.

Stimmen wie ein Theremin, Pilze, immer Gleiches und doch neu….

Euer neues Album kommt am 14.05.2021 raus- worum geht es?

Ross: „Das ist schwierig zu sagen. Wenn man ein Album macht, ist es ein Projekt, was zu groß, zu vielschichtig ist, als dass man es in einem Satz zusammenfassen könnte oder sogar im eigenen Kopf zu behalten. Wenn wir ein Album produzieren, teile ich es gerne in zwei Teile oder sogar drei, weil ich mir ansonsten gar nicht alle Songs merken kann. Aber im Großen und Ganzen dadurch, dass wir schon darüber gesprochen haben, kann man sagen, dass es ein sehr emotionales Album ist. Es geht darum mit sehr schwierigen Situationen umzugehen, Beziehungen und das Scheitern von Beziehungen. Darüber hinwegkommen und trotzdem positiv zu bleiben. Da ist zum Beispiel der Song „Say it´s over“, den wir zusammen mit Brad Barr von den Barrbrothers geschrieben haben. Er hatte diese unglaublich schöne Anfangszeile „this will not be easy to say, it´s might be hard to hear“, was so viel bedeutet, wie, dass es jemandem sehr leid tut, das sagen zu müssen, aber man nicht mehr mit dem anderen zusammen sein möchte- so etwas in der Art. Also ist es ein „Schlussmachsong“. Anders als zum Beispiel bei „Killed our love“. Diesen Song hat Syke über die schwierige Beziehung zu ihrer Tochter geschrieben. Aber auch einfach das Gefühl oder die Gefühle mit denen wir durch die Pandemie gegangen sind oder immer noch gehen. Wir wollten am Ende ein Album produzieren, was unterstützend ist.

Ich wollte nicht bei den negativen Dingen verweilen, sondern lieber mich damit beschäftigen wie wir da durch gekommen sind und was alles Positives aus ihr hervorgegangen ist. Zum Beispiel was die Umwelt betrifft - wir haben gelernt, dass wir sehr wohl in der Lage dazu sind die Welt sehr schnell und drastisch zu verändern, wenn wir müssen. So etwas wie der Klimawandel würde bedeutet, dass wir sehr schnell, sehr drastischen etwas ändern müssen und nun gibt es keine Ausreden mehr- wir haben alles komplett rumgefahren um einen Prozent der Bevölkerung zu schützen, also denke ich, sollten wir auch den kompletten schmutzigen Teil der Wirtschaft runter fahren können um alle Tiere auf diesem Planeten zu retten, alle Fische im Wasser. Ich persönlich mag es im Garten zu sitzen und die Vögel zu hören, nicht Flugzeuge und Verkehrslärm, den man sonst hört. Ich genieße es auch sehr so viel Zeit mit meinen Kindern und meiner Familie verbringen zu können. Seitdem ich 18 Jahre alt war, habe ich die meiste Zeit auf Tour verbracht. Für mich war es also eine sehr schöne Zeit- mal eine Pause zu haben. Doch das Album zu produzieren hat mich mental auch gerettet, weil es etwas gab, auf das ich mich fokussieren konnte. Es gab einige merkwürdige Dinge, die passierten. Zum Beispiel bei dem Song „Falling Skies“. Er war inspiriert von der Black Lives Matter Bewegung. Hier in England gab es ganz ähnliche Fälle - rassistische Morde, mit denen man sich nicht gut, nicht ausreichend auseinandergesetzt hatte. Im Gesamten würde ich also sagen, das Album handelt darum sich mit sehr negativen und düsteren Zeiten auf eine positive Art zu beschäftigen; es ist der Versuch die für sich zu verbessern, anstatt nur deprimiert darüber zu sein, dass alles gerade so furchtbar ist. Das war jetzt eine sehr lange Antwort- entschuldige".

Das ist überhaupt kein Problem und leitet meine nächste Frage gleich wunderbar ein. Wie schreibt Ihr Eure Songs?

Ross: „Also normalerweise kommt mir ein Riff auf der Gitarre oder dem Klavier in den Sinn. Etwas sehr simples. Ich schreibe dann mehrere Abschnitte und schicke es Syke, die darüber eine Art Scatgesang legt- sie singt also ohne Text, sondern macht nur komische Geräusche. Wenn wir dann etwas gefunden haben, das uns gefällt und passt, schreibt sie Texte dazu, schickt diese dann mir und wir sprechen darüber was sie bedeuten und worum es geht und dann fange ich an ein paar Produktionen zu machen. So läuft es die meiste Zeit. Auf diesem Album fing es mit einigen Songs jedoch etwas anders an. Viele der Stücke haben wir zu bestehenden Beats aufgenommen. Da war dieser Typ- Henry Law von der Band Yimino, der für uns einen Remix von unserem letzten Album machte, was mir sehr gut gefiel- ich fand es war besser als unsere eigene Version. Deshalb wollte ich, dass er unser Album produziert, so dass ich nur in der Ecke sitzen brauche, Joints rauchen und Gitarre spielen konnte. Das ist dann in der Form nicht passiert, aber er schickte mir viele Beats. Ich habe viel Musik zu den Beats geschrieben. Tracks wie „The Edge Of The World“ und „Cut My Heart Out“ entstanden als elektronischer Beat und dann jammte ich darüber. Das sind so die zwei unterschiedlichen Wege, wie wir die Songs auf diesem Album geschrieben haben.“

Also ist es - abgesehen von den Ideen- doch sehr intuitiv?

Ross: „Ja, es sind - wie wir es nennen- glückliche Unfälle. Du machst etwas so lange bis „aus Versehen“, unfallartig etwas Gutes dabei rauskommt- im Nachhinein tut man natürlich so, als wäre das von vornherein so geplant (lacht).

Ja, ja, ja… so sieht´s nämlich aus… ;-) ich genieße die entspannte, mit Schmunzlern durchsetzte Gesprächs-atmosphäre und frage munter weiter. Was ist die größte Schwierigkeit am Musikschreiben für Dich?

„Es gibt keine Schwierigkeit mit Musik, Musik ist immer Freude. Mit Musik zu arbeiten macht immer sehr viel Spaß. Das Aufnehmen ist ein bisschen anders. Es ist eher ein langweiliger Prozess, denn nachdem man den „Funpart“, also das Fuzz Gitarrensolo spielen zum Beispiel oder das Aufnehmen der Streichersection (solche Dinge machen Spaß) hinter sich gebracht hat, verbringt man Wochen um Wochen mit der Bearbeitung. Das ist unglaublich langweilig- es geht nur darum Schnipsel auszuschneiden, zu verschieben, wieder an den richtigen Platz zu setzen. Solche Sachen eben. Es so als wäre man ein „Rock´n´Roll Sekretär“- als müsste man die Noten nach dem Meeting abtippen. Ich verbringe die meiste Zeit damit, was nicht so wahnsinnig viel Spass macht, aber es ist schon besser, dass wir alles selbst machen, denn wir müssen sehr viele kreative Entscheidungen treffen- würde ich das Ganze an jemand anderen abgeben und sagen - hier sind die Tracks, bearbeitet das mal bitte für mich. Dann würden die die ganzen kreativen Entscheidungen treffen und es würde nicht mehr so sein, als wenn wir es gemacht hätten. Also auch wenn es langweilig ist, müssen wir es machen. Irgendwann kommen wir an dem Punkt, an dem wir glücklich mit dem Ergebnis sind und bei diesem Album haben wir es dann einem Mischer gegeben, der es für uns gemischt und fertig gemacht hat. Das ist dann immer gut. Der Anfang eines Albums ist immer sehr aufregend, denn man fängt gerade erst an, man hat Ideen, der Mittelteil ist sehr langweilig und ermüdend und das Ende ist dann wieder aufregend, weil man das Licht am Ende des Tunnels sieht und es nicht abwarten kann, es fertig zu machen.“

Wie lange braucht Ihr normalerweise für das Bearbeiten?

Ross: „Monate! Auf einen Tag, den ich aufnehme, verbringe ich eine Woche mit der Bearbeitung. Das ist furchtbar!“

Japp… das kann ich mir vorstellen - klingt ziemlich anstrengend und wirklich hirnzermarternd.

Ross: „Ich meine, wenn man gleich beim ersten Mal alles perfekt einspielen würde, aber die Art und Weise wie wir Musik und ein Album machen ist experimentell. Man weiß am Anfang noch nicht genau, was man möchte - das entwickelt sich erst im Prozess. Es ist als würde man ein Bild malen, in dem man individuelle Puzzleteile malt. Als wenn man versucht ein Puzzle zusammen zusetzen ohne vorher das fertige Motiv gesehen zu haben.“

Das mit den Puzzleteilen finde ich ein starkes Bild. Hast Du einen Lieblingssong auf dem Album?

Ross: „Ja, ich mag den ersten und letzten Song auf dem Album, also „Cut My Heart Out“ und „The Edge Of The World“. Beide sind interessant - sie haben interessante Beats und merkwürdige Sounds. Zum Beispiel bei „Cut My Heart Out“: Skye singt mit einer opernhaften Stimme am Ende und es klingt wie ein Theremin oder Synthesizer, doch es ist ihr Gesang! Und es passt sehr gut zu dem Fuzz Gitarrensolo- es ist sehr psychedelisch und weit- das gefällt mir sehr gut. Das Gleiche beim letzten Song- da ist auch ein Solo, das von Duke Garwood - er ist der Gastsänger auf dem Song- eingespielt wurde. Er spielt auf einer Rhaita, einer Tonflöte aus Marokko, die er gelernt hatte mit den Masters Of Jajouka (eine legendäre Band aus Marokko). Er spielt das Solo in der Mitte des Songs und es ist so merkwürdig, es klingt so seltsam und ich finde das sehr frisch, sehr cool- es gefällt mir wirklich sehr gut.“

Wow- das ist ziemlich spannend- nach dem Interview wird erst mal noch einmal richtig zugehört. Es ist eine Flöte oder?

Ross: „Ja, es ist mehr wie eine Klarinette. Eine Klarinette aus Stein gefertigt. Es klingt sehr nasal und seltsam und viele Leute denken, es wäre ein Synthesizer oder Keyboard, doch es ist wirklich ein Blasinstrument.“

Was würdest Du sagen ist das Herzstück von Morcheeba?

Ross: „Wenn Skye und ich zusammen Musik machen klingt es einfach ganz natürlich nach Morcheeba. Wir müssten uns schon ziemlich anstrengen, damit es nicht nach Morcheeba klingt, wenn wir uns selbst verkleiden wollten. Ich spiele fast immer auf die gleiche Weise Gitarre - langsam, melancholisch. Ich habe einen sehr niedrigen Blutdruck, deshalb bin ich nicht in der Lage Musik schnell zu spielen (lacht). Sehr zum Leidwesen unserer Plattenfirma - denn wir haben nie Songs im Radio. Sie sagen immer: „Wir können das nicht im Radio spielen! Jeder, der das hört, würde sein Auto irgendwo gegen fahren!“ Ich schreibe Musik in Moll, sehr traurig, sehr langsam und dann fällt Skye eine Melodie ein und ihre Stimme ist sehr gut wiederzuerkennen. Also ihre Stimme und mein Gitarrenspiel sind das, was Morcheeba´s Sound ausmachen. Und weil wir immer zusammenspielen, klingt es immer danach.“ ;)

Was war die intensivste musikalische Erfahrung, die Du gemacht hast?

Ross: „Es gab ein Wochenende, 1998, vielleicht 1999- damals spielten wir auf dem Glastonbury Festival und es war unglaublich, wir kamen zum Schluss des Konzerts - da waren 50.000 Leute, die alle mitsangen, es war großartig, aber ein Freund von mir gab mir eine große Tüte „magische Pilze ;)“ und mein Gitarrentechniker, der Roadie legte die Pilze alle dorthin, wo meine Fuzzpedals waren und ich aß einen Pilz nach dem anderen. Bei der Hälfte des Sets angekommen, war ich schon ziemlich high und es war toll - ich genoss es; ich war ganz weit und es war witzig- und weil das Konzert live auf BBC übertragen wurde, sah es sich meine Mutter an und sie fragte sich die ganze Zeit, was ich da auf der Bühne die ganze Zeit aß. Auf jeden Fall hatte ich eine Menge Spass und war ziemlich high und wir mussten sofort von der Bühne zum Flughafen Heathrow fahren, um nach Los Angeles zu fliegen. Weil wir dort am nächsten Abend den Hollywood Bowl spielten und ich war immer noch „off“ als wir aus dem Flugzeug stiegen. Ich erinnere mich, dass ich ziemlich aufdrehte und direkt bei dem Veranstaltungsort ankam und auf die Bühne ging und zu meinem absoluten Entsetzen saß die komplette E-Street Band, die Band von Bruce Springsteen, direkt vor mir in der Box, ca. zwei Meter entfernt von mir - genau vor mir!

 

 



 

Und ich bin total ausgeflippt, weil ich Bruce Springsteen liebe! Als ich noch ein Kind war gingen wir wann immer die E-Street Band in London spielte dorthin - ich liebte sie absolut. Ich bin in dem Moment fast gestorben vor Angst! Ich konnte nicht spielen - ich wollte mich nur hinter meinen Verstärkern verstecken und niemand konnte mich hören, aber irgendwie kamen wir durch den Gig und sie sprangen auf und tanzten und klatschten mit und ich dachte mir die ganze Zeit- ich kann es nicht glauben, ich dreh durch! Das war absolut verrückt und definitiv die intensivste Erfahrung, die ich gemacht habe - es war auch noch mein Geburtstag - ich glaube, mein 21. Geburtstag - und es kam einfach alles zusammen zu einem absolut verrückten Wochenende.

Woooohhhhooooo…. DAS ist mal eine Story…. Danke dafür… ich versuche mir das Ganze so gut es geht vorzustellen - scheitere aber am Nichtvorhandensein einiger dafür nötige Erfahrungen… ;) Da wir gerade von intensiv sprechen: Kennst Du das Gefühl von Musik oder Kunst überwältigt zu werden? Ich nenne diesen Zwiespalt zwischen Genuss und Horror immer das Monster- kennst Du das „Monster“? Wie gehst Du damit um?

Ross: „Ja… ähm… Du musst lernen Dich mit dem Monster anzufreunden. Das ist im Grunde mein Rat. Ich verliere mich selbst sehr in Musik. Als ich ein Junge war und in Bands spielte - ich springe mal direkt zu dem Punkt als ich die Erfahrung machte, dass ich meinen Körper verließ. Ich hatte nicht wirklich Kontrolle über das, was passierte, es geschah einfach und ging komplett durch mich durch. So ist es auch wenn man improvisiert. Die meiste Zeit wenn man spielt, ist es normal und langweilig, aber wenn man improvisiert, fühlt es sich manchmal wirklich so an als sei man selbst nicht unter Kontrolle oder würde das eigene Handeln kontrollieren. In dem Moment arbeitet ein anderer Teil des Gehirns, den der bewusste Teil des Verstandes nicht kontrollieren kann und das ist gut so. Denn das Bewusstsein ist nur sehr klein und es kann nur einige wenige Ideen auf einmal bearbeiten und so etwas komplexes wie Musik kann nicht von Deinem Bewusstsein kontrolliert werden. Also schaltet man irgendwie ab, in so einer Art Zen,- buddhistischen Art- man zieht sein Ego und seinen Verstand aus der Situation und lässt die Dinge einfach geschehen. Und das sind dann die Momente, in denen man großartige „glückliche Unfälle“ hat. Dann passiert der richtig „gute Shit“- wenn man sich selbst verliert und man sich fühlt als sei man in einer Art Trance oder hypnotisiert - das ist der beste Teil, also solltest Du das genießen.“


Ok… Gab es also keinen Moment, in dem Du Angst davor hattest nicht weiter Musik machen zu können?

Ross: „Nein… ich wollte schon immer Musik machen. Wenn Du einen Plan B hast, dann wirst du früher oder später das tun. Wenn Du keinen Plan B hast, gibt es keine Alternative, dann musst du das einfach machen. Als ich ein Kind war - ich glaube sieben oder acht Jahre alt, sagte ich - ich möchte ein Gitarrist werden, in einer Band… das ist es, was ich tun werde. Und ich blieb dabei. Nichts konnte mich von dieser Entscheidung abbringen. Und ich glaube, man braucht diese Art von Glauben an sich selbst, diese Art von Selbstbewusstsein, ansonsten ist es zwecklos. Alle meiner Helden sind Leute, die sehr auf Musik fokussiert waren. Musik ist das Einzige in ihrem Leben. Jetzt wo ich etwas älter bin, haben sich einige Dinge geändert. Ich bin verheiratet, habe Kinder und besonders während der Pandemie erkannte ich, dass ich auch noch andere Jobs in meinem Leben habe, vor allem mich um meine Kinder zu kümmern. Ich habe sie während des letzten Jahres Zuhause unterrichtet und das war eine wahre Freude. In den letzten 30 Jahren war ich total besessen von mir und auf die Musik fokussiert, aber nun ist es so als ob dieser Bann gebrochen wäre und ich merke, dass es noch andere Dinge in meinem Leben gibt. Das ist eine interessante Perspektive und ich wünschte, ich hätte diese Weisheit schon gehabt, als ich etwas jünger war. Doch wenn ich sie damals schon gehabt hätte, hätte ich wahrscheinlich andere Entscheidungen getroffen und hätte nicht die Musik geschrieben, die ich geschrieben habe.“


Wie hast Du es geschafft die Balance zwischen Familienleben und Künstlerdasein zu halten?

Ross: „Meine Frau ist auch Sängerin, sie heißt Amanda Zamolo- sie hat auf dem Morcheeba Album „Die Deep“ gesungen und war mit uns auf Tour. Sie versteht was es bedeutet ein Musiker zu sein und wenn man viel unterwegs ist. Der Vorteil für mich ist, dass ich sehr viel Zeit mit meinen Kindern verbringen kann wenn ich nicht auf Tour bin, weil ich die ganze Zeit zuhause bin. Es ist nicht so, dass ich noch 09-17 Uhr arbeite und sie nur morgens und abends sehe - wenn ich zuhause bin, bin ich immer da. Es sind also sechs Papamonate und dann sechs Monate als Künstler auf Tour. Es ist ein bisschen verrückt die ganze Zeit von einem zu dem anderen zu wechseln. Wir versuchen im Sommer - weil die Kinder da Ferien haben - nur an den Wochenenden zu arbeiten, also Festivals etc und dann am Montag zurückzukommen, so dass wir die Woche haben um bei Ihnen und der Familie zu sein und eben dann am Wochenende Konzerte zu spielen. Und wenn ich kann, nehme ich meine Kinder mit auf Tour - Skye hat früher als sie noch jünger war, alle vier Kinder mitgenommen als die auch noch jünger waren, sie sind sozusagen in Tourbussen und Hotels aufgewachsen. Es ist witzig, es wirkt so als seien sie inzwischen auf Tour mehr zuhause als sie es zuhause wirklich sind. Sie sagen Dinge wie „Mom, wann gehen wir nach Hause? und sie sagt- wir sind zuhause. Und sie sagen dann, nein, das Hotel!“

Okay… das ist ziemlich extrem…

Ross: „Ja, irgendwie schon… Ihr Sohn spielt jetzt bei uns Schlagzeug - er ist ein erwachsener Mann, 23 Jahre alt, aber er spielt mit uns. Ich habe das Gefühl, dass wir langsam unsere Kinder darauf trainieren in die Band einzusteigen und wenn wir dann mal zurücktreten, sie einfach weiter machen(lacht). “

Das ist irgendwie ein bisschen schräg, aber auf der anderen Seite ziemlich cool und ein bisschen süß. Was ist für Dich der wichtigste Aspekt an Musik?

Ross: „Selbstausdruck auf eine abstrakte Art und Weise. Es geht darum wie man Gefühle artikulieren kann ohne Wörter. Es ist eine Form von Transzendenz, wie eine Art Meditation. Als ich ein junger Mann war, lernte ich Slideguitar zu spielen- wie in alten Bluesnummern, ich liebe alte Ragtime Blues Songs aus den 30ern und 40ern. Und wenn ich traurig war oder ich ein Gefühl hatte, das ich nicht nennen konnte, saß einfach da für ein paar Stunden und spielte diese Gitarre- anstatt zur Therapie zu gehen oder so etwas. Dadurch konnte ich die Gefühle rauslassen und dadurch verschwanden sie dann. Es war eine Art Emotionen zu verarbeiten. Für mich ist Musik ein Mittel, ein Werkzeug um die Welt um sich herum und sich selbst verstehen zu können und wie wie man sich in ihr bewegen kann.“

Ich bin wieder ganz hin und weg von so viel interessantem Input und sehe, dass die Zeit wie im Fluge vergangen ist. Doch ich bekomme noch die Gelegenheit etwas weiter zu bohren. Und ich freue mich! Hat sich deine Perspektive auf Musik über die Jahre verändert?

Ross: „Ja, ich glaube, das Internet hat Musik wirklich verändert. Früher habe ich Alben gesammelt, teilweise waren sie wirklich schwer zu finden. Wenn man sich zum Beispiel für Brasilia Tropicana Music interessierte, war es wirklich sehr schwierig die Aufnahmen in England zu finden. Sie wurden hier nie veröffentlicht also musste man Importe finden, man musste zu alten Second Hand Läden gehe, auf Plattenflohmärkten stöbern und suchen. Das machte einen Teil des Reizes aus- die Sachen überhaupt zu finden. Und als das Internet kam, konnte man jede Musik sofort finden. Dadurch verlor es ein bisschen an Reiz und Faszination - dadurch verlor ich ein wenig die Leidenschaft für das Suchen und Hören von Musik, weil es auf eine Art zu einfach war. Ich fand es war eine richtige Schande- es änderte auch das Mysterium, das geheimnisvolle an Musik für mich. Zum Beispiel als die Pixies das erste Mal nach England kamen, niemand wusste, wie sie aussahen, niemand wusste, wer sie waren - ihre Albencover waren abstrakte Bilder, es gab kein Bandfotos auf ihnen. Wenn man sie also auf der Bühne sah, wusste man nicht wer da auf der Bühne sein würde und das war irgendwie cool. Jetzt kannst Du eine Band einfach googeln und weißt alles über sie innerhalb von Sekunden und dadurch hat es ein bisschen an Mystik verloren. Und das ist sehr schade, denn ich denke, dass Musik und Kunst im Allgemeinen aus der Idee des Geheimnisvollen gedeiht. Man muss einige Dinge wissen, aber gleichzeitig macht das Fehlen von Informationen das Ganze faszinierend.“

Man, man, man…. es arbeitet wieder einiges in mir. Achso- by the way, die merkwürdigen Geräusche kommen von meinem Hund… Gibt es einen Künstler oder ein Album, der/das dich nach wie vor inspiriert?

Ross: Ja, die größte musikalische Liebe meines Lebens ist Jimi Hendrix. Er ist absolut großartig, ich höre ihn immer noch sehr oft. Mein Lieblingsalbum ist „Electric Lady Land“ und mein Lieblingssong ist „Machine Gun“- den hat er nie aufgenommen, aber einige Male live gespielt. Er ist auf der „Band Of Gypsys“ und meine Lieblingsversion ist auf der „Isle Of Wight“. Diese Version spielte er vier, fünf Tage bevor er starb. Es ist ein unfassbares Stück Musik, es ist 20 Minuten lang, nur improvisierte Gitarrensoli und es hat mich immer schon sehr inspiriert. Ich habe nie ein Stück Musik gefunden, was besser war. Ich liebe es.“

Mein - inzwischen interviewerprobtes „Hündchen“ meldet sich zwischendurch wieder etwas aufdringlich zu Wort, doch zum Glück…

Ross: „ Das macht nichts- kein Problem. Ich habe auch Haustiere. Meine Kater kommt einfach in mein Studio und pinkelt auf mein Equipment. Auf meine schönen Vintage Gitarren, das ist wahrscheinlich seine Art freundlich zu sein. Er kommt einfach rein und macht auf mein ganzes Studioequipment und ich frage ihn dann immer nur absolut fassungslos, warum er das getan hat! (lacht)

Schallendes Gelächter, eine sehr offene und angenehme Gesprächsrunde neigt sich nun leider endgültig dem Ende zu. Ich schließe dieses Interview mit vielen neuen, tiefgehenden Gedanken und bedanke mich für mehr als das Gespräch bei Ross Godfrey, wünsche Morcheeba alles Gute und hoffe auf ein baldiges Liveerlebnis.

Rezension --> "Blackest Blue"