Interview mit Tim Smith (T.V. Smith)

Von Gregor Eder

Um 1970 entwickelte sich in England ein Genre, welches bis heute als revolutionär, energiegeladen und kritisch gilt. Natürlich ist die Rede von Punk und eines der Urgesteine dieses Genres war so nett sich für ein Interview zur Verfügung zu stellen. Timothy „T.V.“ Smith, welcher damals mit der Band The Adverts bekannt wurde, hat Ende des vergangenen Jahres sein neues Soloalbum „Lockdown Holiday“ ( unsere --> Rezension) präsentiert und zu diesem Anlass durfte ich mich mit ihm via Zoom etwas unterhalten. Etwas nervös, da es sich ja doch um einen Zeitzeugen der für mich höchst interessanten Entstehungsphase des Punks handelt, fand ich mich vor meinem PC ein und wartete freudig auf T.V..

 „Kannst du mich hören?“ schallte es plötzlich aus meinen Monitor-Boxen und etwas perplex begrüßte ich T.V., welcher darüber erheitert war, dass ich ihn nicht sofort verstand, da mein Hirn darauf vorbereitet war englisch zu sprechen. Wir hätten ganz sicher das Interview in deutscher Sprache führen können, doch schlussendlich einigten wir uns darauf in englisch weiter zu kommunizieren. Natürlich kamen wir direkt auf die aktuelle Lage und das neue Album zu sprechen. Auch wenn mir bewusst war, dass T.V. seine Alben generell im DIY-Style produziert, musste ich folgende Frage stellen:

Wie hast du das Album diesmal produziert? Gab es Möglichkeiten ins Studio zu gehen?.Wie aus der Pistole geschossen kam die Antwort: „Nein, es wurde alles hier zu Hause produziert. Ich sitze hier gerade in meinem kleinen Homestudio und hier habe ich alles was ich brauche. Meinen Computer, die Mikrofone und meine Gitarre. Das ist das Tolle am Aufnehmen in der heutigen Zeit. Schlussendlich wurden die Aufnahmen dann an Jon Caffery weitergeleitet, gemixt und gemastert. Eigentlich hatte ich nicht vor ein Album zu schreiben. Ich hätte ja an sich geglaubt ich wäre jetzt auf Tour, doch so hab ich durch die Situation mit dem Schreiben des Albums begonnen und gesehen wie gut ich es eigentlich mit meinen musikalischen Möglichkeiten habe.

Mit einem Grinsen im Gesicht meinte ich, dass ich auch gerade in meinem Homestudio sitze und bemerkte, dass die heutigen Möglichkeiten Musik zu produzieren ja schon wesentlich zugänglicher sind als in den „alten Zeiten“. T.V. führte diesen Punkt direkt etwas weiter aus: „Jeder kann heute produzieren. Ich glaube so kommt auch wieder Leben in die Musik. Du brauchst kein großes teures Studio oder überteuertes Equipment. Du brauchst Ideen und einen Raum in dem du jene umsetzen kannst. Technisch gesehen ist heute alles viel zugänglicher, doch schlussendlich sind die Ideen das Wichtigste. Hast du keine Ideen hast du eigentlich gar nichts.

Da konnte ich nur zustimmen. Mit der Erklärung, dass T.V.`s „Lockdown Holiday“ mich dazu angeregt hat mein eigenes Soloalbum im Lockdown zu kreieren, kamen wir generell auf den Lockdown zu sprechen. T.V. meinte: „Die generell schwierige Aufgabe im Lockdown und während der Pandemie ist nicht die Motivation zu verlieren. Ich weiß es scheint so als würde die Welt untergehen, aber es ist sehr wichtig positiv zu bleiben und etwas zu tun. Ohne dieser Motivation sehe ich eine große Krise für die allgemeine mentale Gesundheit auf uns zukommen. In Zeiten wie diesen muss man flexibel sein, sich an den Gegebenheiten neu orientieren und weiter machen. Ich bin so ein Typ der zwar die sozialen Kontakte vermisst, aber schlussendlich daran denkt was er stattdessen machen kann.

Diesen Standpunkt vertrete ich ebenso und nachdem ich dies kund getan hatte, erzählte ich T.V. von den interessanten Projekten von Musikerkollegen während des Lockdowns und das ich auch viele Musiker bei der Erforschung neuer Genre beobachten konnte. Mitunter erzählte ich auch, dass ich selbst akut etwas mehr in Richtung Jazz und Swing komponiere. Ich meinte schlussendlich: Viele Musiker schauen gerade über ihren Tellerrand hinaus und machen eben so weiter. T.V. antwortete direkt: „Absolut! Es gibt so viel zu erforschen da draußen. Ich glaube, wenn man das Positive in der ganzen Situation sehen will, dann bemerkt man, dass man eben nicht in der andauernden Routine steckt und mit Abstand gewisse Sachen betrachten kann. Ich selbst mag beispielsweise Jazz und Swing sehr gerne und ich sehe in der Situation eben die Möglichkeit sich in all den Genres umzusehen und auch im Generellen. Die Situation kann man mitunter auch als Chance sehen. Zum Beispiel habe ich noch nie Videos gedreht, doch jetzt habe ich 3 für das Album gemacht. Davor hatte ich seit meiner Schulzeit keine Kamera mehr in der Hand. So habe ich mich etwas mit dem Filmen, Scheiden, Editieren auseinandergesetzt und es wirklich genossen.“

Mit dem letzten Satz hatte T.V. ein wunderbares Beispiel für die vorhin erwähnte Chance dargelegt und nach etwas Plauderei bezüglich Technik und Aufnahme wurde ich etwas persönlicher.

 

 

 

Ich erklärte T.V., dass er mitunter eine sehr große Inspirationsquelle für mich und meine musikalische Karriere ist, da er mich bei einem Auftritt in Wien mit seiner Authentizität und seiner generellen Natur so vom Hocker gehauen hatte, dass er für mich heute noch als großes Vorbild gilt. Wenn T.V. auf die Bühne geht sieht man einen Menschen, der zu 100% liebt und lebt was er da oben tut. Dieses Kompliment brachte ich Ihm entgegen und betonte, dass ich durch Ihn bei diesem Konzert genau sah, was ich auch tun wollte.

T.V. Smith vor seinem Konzert im Cuxhavener "Franzler"

Seine Antwort lautete: „Also das ist etwas was ich gelernt habe und im Grunde war eben das zu tun was man liebt die ursprüngliche Idee von Punk. Ich habe aber auch einige Zeit und Reflexion gebraucht um es auch für mich wirklich zu verstehen. Es zeigt sich speziell live, wenn du nur mit der Gitarre alleine auf der Bühne stehst und alles Technische keine Rolle spielt. Wenn du live in diesem simplen Setup bestehen kannst, mit deiner rohen Kompetenz, dann spielt das Technische keine Rolle. Ich versuche bei meinen Konzerten alles auf den grundlegenden Kern herunterzubrechen und schlussendlich dreht sich immer alles um die Songs.

Da T.V. hier den Ursprungsgedanken des Punks angesprochen hatte, nahm ich die Möglichkeit Ihn hinsichtlich der Entwicklung des Punk-Genres über die Jahre zu befragen. Etwas nachdenklich meinte T.V.: „In den letzten paar Jahren verstehe ich nicht mehr ganz was „Punk“ wirklich bedeutet, weil ich mich selbst nicht als das sehe, was heute unter der Idee des Punks verstanden wird. Meine Idee von Punk ist simpel hinaus zu gehen und das zu tun was man liebt und woran man glaubt. An einem gewissen Punkt, etwas nach 1977, waren da The Clash und die Ramones und ab dann passte man sich an diese Nische an. Für mich war Punk eben sich nicht in eine Nische einzufügen. Für uns war wichtig, dass wir gegen das ankämpften was vor uns war, im spezifischen Fall waren es die aufgeblasenen großen Rockbands, in deren Fokus Geld und Ruhm standen. Für mich waren die eigenen Ideen, das eigene Material und das was in einem selbst steckt am wichtigsten. Ich weiß nicht was die Punkbewegung heute ist, wenn ich auch in den kleinen Clubs immer wieder die Attitüde die damit zusammenhängt antreffe. Für mich ist der „Punk-Spirit“ eben bei kleinen Events bei den Bands, Veranstaltern und Fans zu finden, mitunter sehe ich jenen sehr stark in Europa. Für mich steckt der alte Geist mehr im Publikum als in der Musik selbst.

Somit kann man sagen, dass T.V. den Spirit des Punks noch als lebendig ansieht und in Wahrheit ist er selbst mit seinem Material ein direkter Beweis. Wir diskutierten noch etwas über die Genrebegriffe des Pop-Punks und hier meinte T.V., dass man konformer Punk ist, wenn man eben nicht konform ist. Dieser Satz zeigt wie schön paradox der philosophische Geist hinter dem Genre ist und an dieser Stelle möchte ich mich nochmal bei T.V. für den Einblick aus Sicht eines Zeitzeugen bedanken. Ich hoffe die Leser und Leserinnen können diesen Ansichten ebenso viel abgewinnen wie ich.

Nachdem wir den Punk als musikalische Genre und auch Attitüde besprochen hatten plauderten wir noch eine Weile über T.V.`s Weg zur Musik, was für ihn bisher schöne Erinnerungen waren und worauf er sich noch auf seinem weiteren Weg freut. Genauer darauf einzugehen würde den Rahmen dieser Niederschrift sprengen, da wir ein derartig inhaltlich reges Gespräch in den 40 Minuten geführt haben, dass man in dieser Form eigentlich schon 3 Interviews daraus mache könnte.

Abschließend möchte ich mich generell nochmal für das wirklich feine Gespräch bei T.V. Smith bedanken und den Lesern und Leserinnen die gesamte Diskographie von T.V. ans Herz legen, denn dort findet sich wirklich für jeden etwas. Somit bin ich gespannt was wir in der nächsten Zeit noch so von T.V. Smith hören werden und freue mich auf den Tag, an dem ich wieder einmal vor der Bühne seinen Klängen und Texten lauschen darf!