Beth Gibbons bringt am 17.05.2024 ihr Debütalbum „Lives Outgrown“ raus. Im ersten Moment stolpert man über diese Formulierung, kennt man die fast 60-jährige Sängerin, Songwriterin, Komponistin und Filmmusikkomponistin doch vor allem als Sängerin der britischen Trip-Hop Band Portishead, die weit länger als 20 Jahre im Musikgeschäft einen festen Platz hat. Doch auch aus dem Projekt Rustin Man. Nach 10-jähriger Arbeit ist nun aber ihr erstes, wirklich eigenes Album kurz vor der Veröffentlichung. 10 Songs, in den letzten 10 Jahren geschrieben.
Thematisch bewegen wir uns im „Strom des Lebens“: Mutterschaft, Wechseljahre, Wandel, Entwicklung, Neuorientierung, Leben, Tod, Sterblichkeit und die Erkenntnisse, die das Gewahr werden, über diese Themen mit sich bringen. Ich gebe zu, dass ich diese Rezension nicht „objektiv“ schreiben kann. Denn ich bin ein Verehrer dieser Künstlerin und von Musik und Kunst, die einen Menschen auf eine so tiefgehende Art berühren kann, wie es die Musik von Beth Gibbons zu tun vermag. Es ist sehr spannend und interessant zu hören, wie Beth Gibbons als Beth Gibbons klingt – auch welchen Anteil sie an zum Beispiel Portishead hat.
Die Songs erinnern an Portishead, teilweise hört man David Bowie (zu „Black Star“ Zeiten), Genesis, ein bisschen Beatles und doch ist es immer ihr ganz eigener Klang, ihr ganz eigener Style. Ihre Stimme schwebt – mal mehr, mal weniger geisterhaft – über die eher „erdende“ instrumentelle Welt, die vor allem rhythmisch „arbeitet“. Wie bei Portishead hört man nicht einfach nur die Instrumente, die Musik, sondern ein Aufeinandertreffen und Zusammenwirken von Wesen, Tieren, Monstern – ich kann es nicht anders beschreiben. Alles scheint zu leben, zu atmen und sich im Fluss des Gesamten zu bewegen. Die Stimmen und Stimmungen gehen mir dermaßen ins Mark, dass es mir mitunter nicht leicht fällt, mir das Album anzuhören.
Man könnte an dieser Stelle jeden Song auseinandernehmen und die einzigartige Welt und die Zusammengehörigkeit, die trotz der langen Zeitspanne der Entstehung allgegenwärtig ist, doch ich empfinde es als nicht „angemessen“. Behält sich jedes Stück doch das Recht vor, von jedem Hörer auf seine ganz eigene Art gehört und verstanden zu werden. Was sich aber durch das ganze Album zieht, egal wie „harmonisch“ und schlicht „schön“ es klingt, ist ein Gefühl wie ein kleiner Stein im Schuh – irgendetwas verursacht konstant ein leicht pikendes oder stechendes Gefühl. – wunderbar. Die Musiklandschaft besteht aus vielen Gitarrenklängen, Streichern und auch orientalischen Klängen. Das Zusammenspiel von Text und Musik ist teilweise auf eine wunderschöne Art unerträglich und zeigt auf welche Möglichkeiten Musik hat.
Fazit:
Die Ausnahmekünstlerin kommt am 02.06.24 für ein Konzert nach Berlin (ich bin natürlich dabei und kann es vor lauter Vorfreude, aber auch Angst kaum erwarten „Lives Outgrown“ live zu erleben). Die 10/10 Punkte kommen natürlich keineswegs überraschend. Ich lege dieses Werk jedem, der gewillt ist seinen Horizont – auf welche Art auch immer – zu erweitern, sich der Kraft, die einen auch durchaus zu zerstören vermag, wärmstens – aber auch mit einer kleinen Warnung – ans Herz.
Mir ist klar, dass das alles ein wenig „übertrieben“ anmuten kann, aber es gibt diese Musik, die einen so tief berühren kann, dass es fast nicht auszuhalten ist – im wahrsten Sinne von Raum, dem man dem Werk geben muss.
Danke, Beth Gibbons, für dieses Stück Leben.
Tracklist
- Tell Me Who You Are Today
- Floating On A Moment
- Burden Of Life
- Lost Changes
- Rewind
- Reaching Out
- Oceans
- For Sale
- Beyond The Sun
- Whispering Love