Von Patricia Mickolasch
Nach langer Abstinenz durfte ich gleich mit den Interviews in die Vollen gehen und mich in einem sehr interessanten, spannenden und sympathischen Austausch über Musik, Politik, Kunst und den Fragen nach dem Wie? Wohin? von der Schlagzeug spielenden Lilian des österreichischen Trios ZINN in die vielseitige und vielschichtige Welt dieser Band führen lassen.
Die unkonventionelle Musik, die sie selbst als „Chanson Punk“ bezeichnet, schreit meines Empfindens nach geradezu nach einer ebenfalls unkonventionellen Interviewpraxis. Weniger Frage – Antwort – Spiel, als mehr ein Austausch, Input/Output, Verstehen und Verständnis. Welch ein Genuss…
Der Einfachheit halber, oder besser: um dem Fluss ein stabileres Flussbett zu bieten, versuche ich hier aber mehr dem Frage/Antwort – Prinzip zu folgen.
Fotocredit: Apollonia Theresa Bitzan
Wie geht ihr an die Musik, das Songwriting heran? Die Musik erzeugt den Eindruck einen filmischen Dialog zu beschreiben?
Lilian: Ja, das ist ein interessanter Vergleich. Es ist wirklich sehr unterschiedlich. Das erste Album hat noch viele Einflüsse vom Soloprojekt von Magarete. Das neue Album sollte ein Konzeptalbum werden und Themen, die uns alle sehr beschäftigen zusammenfassen. In unseren Proben wird sehr viel diskutiert, wir tauschen uns sehr viel aus über politische, gesellschaftskritische Themen. Als Freunde leihen wir uns auch immer wieder gegenseitig Bücher. Magarete ist dann auf Donna Haraway gestoßen, da eröffnete sich dann eine ganze Welt für uns. Von Donna Haraway über Ursula Le Guin, die ich immer gerne nenne, die uns erkennen ließ, dass da noch so viele Theorien und Hintergründe zugehören, die wir gut finden und für die wir einstehen wollen. Als FLINTA – Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) ist es an sich schon politisch, dass wir überhaupt etwas machen und dann wollten wir eben auch wirklich alles sagen, was uns wichtig ist und uns bewegt. Das war dann der Anfang von dem Album „Chthuluzän“. Magarete schreibt die Texte eigentlich immer alleine, mal schon mit instrumenteller Idee, mal ohne und dann schauen wir gemeinsam, was sich daraus entwickelt. Für dieses Album haben wir uns in einem Häuschen auf dem Lande zurückgezogen mit unseren Instrumenten und haben sehr viel rumprobiert und ausprobiert und sind dann, wenn man so will, auf dieses Album gestoßen.
Das „auf das Album gestoßen“ zu sein, weckt in mir irgendwie ein Gefühl von allumfassender Gleichheit und Gleichberechtigung – die Musik wird nicht „einfach“ (einfach sowieso schon mal überhaupt nie…) vom Künstler „gemacht“, sondern Kunst und Künstler treffen aufeinander, finden sich zusammen und kreieren eine ganz eigene, gemeinsame Form – das berührt mich. Bleiben wir ein bisschen bei der „instrumentellen Komponente“. Wie habt ihr euren Sound entwickelt?
Lilian: Es ist lustig, das erste Album ist noch so richtig „klassisch“, weird Folk mit Gitarre, es wird noch viel mit Dialekt gesungen. Beim neuen Album haben wir den Synthesizer entdeckt, den wir auch alle spielen, was uns allen sehr viel Spaß macht und was so gut zu dem Thema passt. Diese Metapher des Synthetisierens. Der Synth hat ja auch eine gewisse Breite und macht einen Raum auf und wir wollen eben auch Räume schaffen.
Es ist insgesamt nicht so einfach zu beantworten, weil es auch hier ein bisschen „passiert“ ist. Es ist auch sehr unterschiedlich. Zum Beispiel wollten wir schon lange ein Lied von Bert Brecht machen und sind dann eben auch drauf gekommen, dass Bert Brecht ganz viele von seinen Stücken nicht selbst geschrieben hat und haben uns die Frage gestellt, wie wir das für uns „nutzen“ können, wie wir damit umgehen können.
Es gibt so viele Inspirationen und Einflüsse um uns herum. Nicht zu vergessen ist auch, dass wir immer viele Leute mit ins Studio nehmen – wir haben ein Cello, eine Trompete und einen Kontrabass dabei und wir wollen, dass sich jeder mit einbringen kann und so ist das entstanden. Ein Geben und Nehmen…
„Mit ZINN haben wir immer gerne ein gewisses Auftreten mit Kostümen und dann wird man direkt in diese Girly- Schublade gesteckt.“
Lilian von Zinn
Wie geht denn das Außen mit eurer Bandkonstellation um? Man merkt ja doch schnell einen Unterschied zwischen gemischten/männlichen Bands und Gruppen, die vor allem aus weiblichen oder FLINTA Personen bestehen?
Lilian: Definitiv. Ich spiele noch in einer anderen (gemischten) Band Schlagzeug. Da wird zum Beispiel nie davon ausgegangen, dass ich Schlagzeug spiele. Besonders interessant ist der Kontakt zu den Tontechnikern – ab da beginnt immer eine Art Leidensweg, weil einem nichts zugetraut wird, obwohl wir schon alle ganz lange Musik machen und mit den Dingen schon lange umgehen. Es ist wirklich so interessant, wie die sich uns teilweise gegenüber verhalten. Oft sagen die dann nach dem Konzert zu uns „ah ja, ward ja ganz gut…“. Die wissen gar nicht, was wir machen!
Mit ZINN haben wir immer gerne ein gewisses Auftreten mit Kostümen und dann wird man direkt in diese Girly- Schublade gesteckt. Das ist das eine, das andere ist, wie die Medien das aufnehmen. Wir sind immer das Frauentrio und die Frauenband, niemand fragt uns aber zum Beispiel, ob wir überhaupt alles Frauen sind und auch, dass man es überhaupt dazuschreibt. Ich glaube, es hat noch nie in der Bandbeschreibung „Männerband“ gestanden und bei uns wir das immer mit dazu geschrieben. Auch über unser Äußeres wird sehr viel geschrieben. Befreundete Bands, die (teilweise) aus Männern bestehen, kennen das so überhaupt nicht.
Das ist eben dieser äußere und auch negative Aspekt. Der Blick nach Innen – für mich ist das etwas ganz Tolles. Ich habe mal in einem anderen Projekt mitgemacht, in den Proben wurde nicht miteinander geredet „nur geraucht und Alkohol getrunken“, das ist jetzt sehr klischeehaft, aber auch wenn ich gesagt habe „ich fühle mich gerade unwohl“ – da ging nichts mit drüber reden oder sich austauschen. Das Gefühl, in dem FLINTA- Space geht es mehr um „wie wollen wir miteinander umgehen/sein, wie können wir uns gegenseitig unterstützen und puschen…?“ genieße ich sehr. Der Verein Pink Noise, den es in Österreich gibt und bei dem wir alle dabei sind, ist auch etwas sehr schönes. Was ich auch noch sagen möchte dazu: Manchmal wird man gefragt, „wie ist es so Musik zu machen als Frau?“ – das ist dann immer sehr schwierig zu beantworten, weil ich es ja nicht anders kenne.
Auf eine Art „amüsant“, weil eigentlich kaum vorstellbar, eher aber doch dramatisch und traurig, dass es wirklich immer noch so viele Unterschiede im Umgang und der Wahrnehmung mit , bzw. von „nicht – reinen- männlichen Bands“ gibt. (Auch aus eigener Erfahrung bekannt…) Einvernehmendes Unverständnis darüber, dass man überhaupt über einige Dinge sprechen muss. Hier wäre Wandel mal ganz wünschenswert…
Welche Rolle spielen eure Musikvideos? Es wirkt alles sehr auf einander abgestimmt und ineinandergreifend.
Lilian: Das ist schön, dass Dir das aufgefallen ist. Wir sind da schon sehr dahinter, dass alles ein kohärentes Bild ergibt. Die Dinge kommen auch immer wieder. In jedem Musikvideo haben wir etwas vom Albumcover drin. Es ist uns sehr wichtig, dass alles zusammenpasst und weil es eben auch Themen sind, die uns allen sehr wichtig sind, gehört diese Art der Ästhetik eben auch dazu. Mit der Leonie, die das Video zu „das Kapital“ gemacht hat, spielen wir gerade in einem Theaterstück mit, da hat sie auch wieder Animationen gemacht. Sie ist wirklich eine Künstlerin.
Kommen wir zur Stimme – wie setzt ihr die Stimme ein?
Lilian: Die Stimme ist auf jeden Fall auch ein Instrument und in dem Sinne auch gleichwertig. Allgemein ist sie der größte Mittler zum Publikum, um den Text darzustellen/rüberzubringen. Die Stimme ist sehr wichtig, wenn auch die Musik die emotionalen und räumlichen Grundsteine für die Themen legt, aber um konkret zu sein, braucht man die Sprache, die Stimme. So würde ich das sagen, aber natürlich bin ich nicht die Person, die singt, außer von den lustigen Sätze, die ich manchmal rein spreche bei „Stirb, Patriarchat, Stirb!“ Und der „Seeräuberjenny“. Das war für mich ganz spannend, weil ich es sehr schwierig finde zu singen und das war mal eine Möglichkeit meine Stimme rüberzubringen. – Ich singe gerne, aber eher unter der Dusche…
Magarete singt ja die Hauptstimme, aber ich würde schon sagen, dass es eine Kombination ist aus „die Stimme ist ein Instrument“ und „sie ist die Verbindung zum Publikum“ auf eine Art. Keine einfache Verbindung, aber eine direkte. Wir wollen in und mit unserer Musik ganz viel ausprobieren und ein bisschen was neueres machen- auch für uns etwas Neues. Wir wollen auch etwas machen, was wir gerne hören wollen, was uns vielleicht in der Musiklandschaft fehlt. Dann ist es natürlich interessant überall ein bisschen anzusetzen. Bei mir ist es natürlich bei den Beats und Percussionsachen, Magarete probiert sich, glaube ich, auch sehr aus. Wir haben zum Beispiel ein neues Effektgeräte für die Stimme, das wir Ferrari nennen (es ist rot und war nicht wirklich billig ;) ) und auch der Wechsel vom Dialekt zurück zum Hochdeutschen – es geht darum sich auszuprobieren, zu schauen, was passt zum Text, was passt zum Inhalt…
Die Seeräuberjenny ist Punk, sie ist Piratin und Anarchistin
Wir haben vorher schon kurz über die Seeräuberjenny gesprochen- von dem Stück gibt es ja unzählige Versionen, Interpretationen. Warum habt ihr eure Version so gestaltet?
Lilian: Das ist wieder nicht so einfach zu beantworten – es ist auch da wieder ein bisschen „passiert“. Die Seeräuberjenny ist ja Punk, sie ist Piratin und Anarchistin und wir wollten auf jeden Fall dieses Punkelement reinbringen, was uns selbst gefällt und unserer Meinung nach zu dem ganzen Thema passt – das punkige, bisschen rotzige. Aber wir lieben eben auch die Hildegard Knef, die Riversion, wir lieben das Getragene – das Meer kommt vor- da kann man ja schon einen Tempowechsel haben – aber die Seeräuberjenny vereitelt das alles. Da ist das Schiff, das die Segeln spannt, das Meer, der Hafen und gleichzeitig passieren in der Stadt ganz viele Dinge, sie wird dem Erdboden gleich gemacht und sie ist schon so lange dort und weiß genau, was passieren wird und lächelt nur böse. In diesem Lied sind diese zwei Stimmungen, die wir auf diese Art und Weise gesehen haben und so nach Außen bringen wollten und außerdem macht es so viel Spaß, das so zu machen. Wir sind halt auch so theatralisch – das mögen wir auch gerne :)
Jetzt noch ein bisschen direkt was zum neuen Album. Wir haben schon etwas über die Inspiration zum neuen Album gesprochen und worum es geht. Kannst Du noch etwas dazu sagen, wo oder ob überhaupt es eine Art Schnittmenge aus Mensch“lichkeit“ und Maschine gibt?
Lilian: Es soll eigentlich gar nicht um die Menschlichkeit gehen, sondern den Fokus von ihr wegnehmen. Das ist auch wo wir uns sehen, wie wir uns denken, wie eine Zukunft auf dieser Erde überhaupt noch funktionieren könnte – mit dieser ganzen Ausbeutung von Mensch, Natur und Tier. Ich würde sagen ein Grund oder eigentlich der Grund dafür, ist, dass der Mensch so zentral ist, dass alles nur um den Menschen geht. Die Erde muss sich beugen, die Tiere müssen sich beugen, die Wälder müssen sich beugen. Und das ist der Punkt: Wir wollen uns verwandt machen mit den Maschinen, mit den Spinnen, mit den Bäumen und Flüssen, mit allem, was man um sich findet, um eine Gleichwertigkeit schaffen zu können; denn wenn Dinge miteinander verglichen werden und ihnen unterschiedliche Wertigkeiten zugeschrieben werden, wird es nie ein gleiches System geben. Es gibt ja schon unter den Menschen kein gleiches System und vielleicht sollten wir deshalb gar nicht an dem menschlichen System arbeiten, sondern von einem „Menschenzentrierten“ zu einem „Lebewesenzentrierten“ System übergehen, wobei Lebewesen hier nicht nach der westlichen Idee definiert wird, sondern alles meint. Donna Haraway meint zum Beispiel auch, dass man sich mit Geschichten verwandt machen soll, mit fiktiven Charakteren. Das gefällt mir zum Beispiel sehr gut, weil ich einfach sehr gerne Sci-Fi und Fantasygeschichten lese – wie von Ursula Le Guin oder jetzt gerade lese ich Walter Moers. Es ist so genial zu sehen, wie sich Leute in ihrem Kopf Gesellschaften überlegen können, die vielleicht ganz anders funktionieren können. Darum geht es eigentlich. Wir wollen weg vom Menschen und hin zum Ganzen. Natürlich sind wir ein Teil des Ganzen, aber der alte weiße Mann hat die Welt so extrem kolonialisiert und das könnte auch anders sein. Es könnte auch nicht so menschlich zentriert sein.
Das „Chthuluzän“ ist so ein cooles Konzept, was es immer schon gegeben hat, was vergangen und aber auch zukünftig ist, weil Menschen, Tiere und Lebewesen allgemein untereinander schon immer nebeneinander, miteinander leben und sterben konnten und nur weil wir jetzt in einer Zeit leben, in der der Mensch sich so in den Vordergrund stellt und sein Leben und Sterben gut sein muss, nur das der anderen nicht, herrscht dieses Ungleichgewicht. Es geht darum die Dinge zusammen zu greifen, zu vermischen; man kann ja auch nicht Ökothemen und Feminismus auseinander nehmen. Es ist uns wichtig die Dinge in ihrer Gesamtheit und Komplexität zu sehen. Man könnte dazu auch intersektionaler Feminismus sagen.
Langsam neigt sich das Gespräch leider dem Ende (vieles wird mich noch länger begleiten und mich zu weiteren Recherchen antreiben). Was wünscht ihr euch, soll dieses Album speziell in euren Zuhörern auslösen?
Lilian: Eine Art Emotionalität, dass man sich mit Dingen beschäftigt und nicht einfach so vor sich hinlebt. Es soll zum Nachdenken anregen, eine Debatte auslösen und vielleicht auch ein bisschen eine Skizze sein, wie es vielleicht anders aussehen könnte. Es soll zum Nachdenken und selber nachforschen anregen, warum wir eigentlich in „Stirb, Patriarchat, Stirb!“ von absoluten Femiziden sprechen, warum zum Beispiel, es in Österreich so viele Femizide gibt, wie das alles zustande kommen kann. Oder auch nochmal wegen der Seeräuberjenny – warum schreiben wir das einem Typen zu, der sehr erfolgreich war, laut einer Vielzahl von Literaturwissenschaftler*INNEN, aber ca 70% der Dreigroschen Oper nicht selbst geschrieben hat, sondern Elisabeth Hauptmann. Und in der Schule lernen wir dann aber, dass Bertolt Brecht die Dreigroschen Oper geschrieben hat. Es geht darum zu hinterfragen und zu schauen- wo kommen die Dinge eigentlich her?
Wir wollen zur Widerspenstigkeit aufrufen
Wie unsere Musik, die auch widerspenstig ist. Von der Widerspenstigkeit zur Unruhe.
Wie arbeitet das Album oder die Arbeit daran in euch persönlich weiter?
Lilian: Es ist schon sehr stressig :) Es ist sehr viel zu tun und wie man weiß, kann man ja nicht davon leben. Wir hadern alle damit- gerne würden wir dem mehr Raum geben, aber das geht halt leider nicht.
Also auf der einen Seite dieses prekäre Kunstgewerbe, auf der anderen ist es schön zu sehen, wenn Leute unsere Lieder hören und sie teilen, unsere Musik kaufen. Wir haben am Tag der Veröffentlichung eine Akustiksession gegeben, was für mich wirklich sehr schön war, weil ich reine Online- Releases nicht mag- man wirft ins Internet ein Lied und dann ist man den ganzen Tag nur am Handy und guckt wer es postet. Nach dem Theater kommt dann noch unsere Releaseshow- das ist schon stressig, aber natürlich auch schön, nachdem man eben auch so lange und hart daran gearbeitet hat. Aber es ist so schade, – ich sehe das bei allen Leuten in meinem Umfeld, dass man nicht davon leben kann, vor allem wenn man etwas unkonventionellere Sachen macht, wenn man etwas mit Aussagekraft machen möchte, was vielleicht länger als drei Minuten geht. Wir arbeiten daran uns alle gegenseitig zu stärken und zu schauen, wie wir gemeinsam das Beste daraus machen können. Und natürlich bereiten wir unsere Konzerte vor und freuen uns darauf, es live spielen zu können.
Ein wunderbares, mit so vielen musikalischen und menschlichen (- oder vielleicht auch nicht „einfach menschlichen“) Eindrücken gespicktes Gespräch geht zu Ende. Ich bedanke mich an dieser Stelle herzlich bei Lilian von ZINN und hoffe darauf diese Gruppe bald auch in Deutschland live sehen zu können. Uns allen sei ans Herz gelegt: nachdenken, nachschauen, hinterfragen und widerspenstig bleiben oder werden. Herzlichen Dank!
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