Nordholz-Wanhöden, 21.07.2023 – Der Freitag des Deichbrand Festivals 2023: Über 1200 Kubikmeter Wasser wurden in den XXL-Pool vor dem Infield gefüllt und anschließend wird fortlaufend frisches Wasser zugeführt. Am Mittwoch war es zuviel das Guten, jemand hatte vergessen den Hahn zuzudrehen und der Pool Lief über. Er musste gesperrt werden. Obwohl keine hochsommerlichen Temperaturen herrschen, wurde der Pool am Donnerstag gut angenommen, dafür Freitag kaum.
Wer nicht live dabei ist, konnte wieder kostenlos im Stream einschalten. Ab 14:00 Uhr konnte man im Deichbrand-Livestream von O2 live dabei sein, wenn die Hamburger Band Le Fly die Fire-Stage zum Brodeln bringt und 4 weiteren Acts zusehen. Das Beste: Der Livestream von O2 ist komplett kostenlos und ohne Anmeldung oder Registrierung zugänglich.
Im Gegensatz zum Hurricane Festival gibt es auf dem Deichbrand wieder einen großen Discounter mit 160 Mitarbeitern. Das Sortiment ist auf die Bedürfnisse der Festival-Besucher angepasst und umfasst mehr als 300 Artikel. Neben gekühlten Getränken, Grillgut, frischen Backwaren, Fertiggerichten sowie Obst und Gemüse bietet der Markt den Musikfreunden auch Hygieneprodukte und Campingzubehör an. Das Jever Pilsener in der Deichbrand Edition war letztes Jahr mit mehr als 100.000 verkauften Dosen klarer Favorit bei den Festivalbesuchern.
© Nordevents – Impressionen
Aber nun zum musikalischen Teil. Auf den beiden großen Bühnen ging es bereits um 13:00 Uhr im Wechsel los. Den Anfang machte der Rapper Ski Aggu mit seiner Skibrille auf der Water Stage, er ist witzig, locker und shitpostet sich aufwärts durch die Rapszene.
Es folgte die britische Indie-Rock-Band The Subways. Das Trio besteht aus den Brüdern Billy Lunn (voc./guit) und Josh Morgan (drums) und die Bassistin und Sängerin Charlotte Cooper. Die blonde Sängerin sprang hin und her und schüttelte wild ihre Haare. Die Band war 2012 und 2015 schon Gast bei Deichbrand.
Indie-Pop-Band Jeremias aus Hannover, die nach dem Frontsänger Jeremias Heimbach benannt wurde. Für den Herbst hat die Band eine Tour geplant. Sie haben dann auch die Ehre im Rahmen des Reeperbahn-Festivals im Großen Saal der Elbphilharmonie zu spielen.
Die größte Bühne, die Fire Stage wurde bespielt von Le Fly, St. Pauli Tanzmusik aus Hamburg. Es hatte viele Anläufe gebraucht, bis sie bei Deichbrand die große Bühne bespielen durften. Rap, Rock, Rumba, Reggae, alles was Stimmung machte, war dabei. Alltäglichkeiten und weltpolitische Fragen wurden mit einem satirischen und ironischen Unterton präsentiert. Mit „HipHop ist scheiße“ machen sie einen verbalen Rundumschlag in Richtung eiskalter und stahlgehärteter Rapper.
Die Punkrock-Band Rogers aus Düsseldorf war auch schon im letzten Jahr dabei und gehört irgendwie schon zur Crew, insgesamt ihr siebter Auftritt. Laute Musik voller Herz und mitten ins Gesicht. Gegen den Strich, ohne Zensur oder vorgehaltener Hand. Auf ihren aktuellen Album „Mittelfinger für immer“ sind politische, sozialkritische sowie ruhige Songs zu zwischenmenschlichen Themen – allesamt garniert mit einer gehörigen Portion rotzigem Punkrock.
Die britische Alternative-Rock-Band The Wombats passt perfekt zur Festivalstimmung. Temporeicher Indie-Rock ließ die Besucher im Takt springen. Die schwedische Rockband Mando Diao gab sich auch mal wieder die Ehre. Wenn wir richtig gezählt haben sind sie zum fünften Mal dabei. Rapperin JUJU wurde gemeinsam mit Freundin Nura als Teil des Hip-Hop-Duos SXTN bekannt. Alle rasten aus, wenn JUJU live rappt. Jujus Kollaboration mit Capital Bra brachte den Track „Melodien“hervor, der an diesem Tag auch nicht fehlen durfte.
© Nordevents – Musik (Bands)
Dann kam der unstrittenste Act des diesjährigen Festivals: Tokio Hotel. Ein kreischen ging durch die Menge als Heidi Klum am seitlichen Bühneneingang mit den Musikern in den hinteren Tei der Stage ging. Einigen Hardcoree-Fans in der ersten Reihe liefen die Tränen über die Wangen. Wer bisher meinte, sie haben sich nach ihrem Stimmbruch im „Monsun“ verirrt, wurde eines besseren belehrt. Offensichtlich haben sie eine große Fanbase. Ob sich Deichbrand mit dem Booking von Bill, Tom, Georg und Gustav einen Gefallen getan hat, da streiten sich die Geister. Immerhin haben sie sich 20 Jahre im Musikgeschäft gehalten und fünf Alben veröffentlicht. Beim ersten Song viel Nebel und Pyro. Dann wurde der Blick frei auf Bill Kaulitz in einer Art Cowboy-Gltter-Look mit Cowboyhut. Nach einigen Liedern dann der abrupte Abbruch – technische Probleme. Trotz halbstündigem Warten ging der Gig nicht wie gewohnt weiter und man entschuldigte sich. Tom spielte auf der Akustikgitarre und Bill sang dazu.Dann war Schluß. Nur einer kann der beste Act des Festivals werden! Tokio Hotel – wir haben heute leider kein Foto für euch!
Headliner an diesem Abend: Deichkind
Immerhin konnten Deichkind von uns einen Preis für die bisherig beste Bühnenshow einheimsen. Wenn die Hamburger Hip-Hop- und Electropunk-Formation auftritt wird es bunt und für Spaß ist gesorgt. Sie besteht nunmehr aus dem Sänger und MC Philipp Grütering und dem MC Sebastian „Porky“ Dürre. Die Show artet, wie die Band selbst sagt, in einen „Kindergeburtstag für Erwachsene“ aus, bei dem exzessiv gefeiert wird. Wer Deichkind kennt, weiß, dass die Texte der Band meist ironisch, humorvoll und ab und zu auch ein wenig prothetisch sind. Doch auch Kritik an der Politik versteckt sich in den Texten. Subtil und mit viel Phantasie wird dies an diesem Abend auch visualisiert. Wer die Chance hat Deichkind einmal live zu sehen, sollte sie nutzen.
Das Musiker-Duo SDP mit Livemusikern waren der letzte Act um Mitternacht auf der Water Stage. Vincent Stein und Dag-Alexis Kopplin machten auf ihre witzige Art wieder alle wach. Einen Ohrwurm nach dem anderen und tanzen energievoll über die Bühne.
Und abseits der großen Bühnen?
Im Palastzelt begann der Tag mit den Podcast Afterhour Unzensiert. Danach die österreichische Sängerin und Model Ester Graf. Ihr Musikstil lässt sich der Popmusik mit Einflüssen von Hip-Hop zuordnen und macht dieses Jahr ihre erste „noch nie begegnet“-Headline Tour. Sie spielte selbstbewusste Pop-Songs verfeinert mit Hip-Hop-Nuancen. Nach einem Feature Song mit Alligatoah & Monet 192, folgte ihre erste EP „Red Flags“, deren Songs auch ihre punk-rockige Seite zum Vorschein brachte.
Schon an ihrer Namenswahl merkt man: Die Punkrock-Band Team Scheisse um Timo Warkus aus Bremen besitzt eine ordentliche Portion Humor und nimmt sich nicht ernster als nötig. Minimalistischer produziert geht es selbst im Punk kaum. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen bleibt die Band mitsamt Musik und Namen im Gedächtnis. Krankheitsbedingt wurden kurzfristig für den Gig 2 Musiker ausgetauscht. Die Chemnitzer Indie-Pop-Band Blond, das sind die zwei Schwestern Nina und Lotta Kummer und Kumpel Johann Bonitz. Ihr Bruder Till und Halbbruder Felix sind Teil der Band Kraftklub, ihr Vater war schon in der DDR für seine Musik bekannt. Mittlerweile können sie bei der Auswahl ihrer Lieder auf Blond auch auf ihr zweites Album „Perlen“ zurückgreifen.
Als Raum 27 im letzten Jahr in der Jever Hafenbar auftraten, war diese total überfüllt und viele wollten noch hinein und versuchten die Umzäunung wegzureißen. Alle wollten die Lokalmatadore sehen, fast wie damals bei Alligatoah, der im viel zu kleinen Palastzelt spielen musste. Ins Palastzelt haben es die beiden Musiker mit Band immerhin dieses Jahr auch geschafft. Sänger Tristan Stadtler bedankte sich dafür. Erstaunlich, erst vor ein paar Jahren wurden sie auf dem Deichbrand Campingplatz musizierend „entdeckt“. Wann werden sie die großen Bühnen bespielen?
Ben Hartmann gründete 2013 gründete zusammen mit Johannes Aue das Rockgebilde Milliarden. Für die Live-Umsetzung ihrer Lieder und im Aufnahmestudio kommt ein fester Kreis an Musikern dazu. Milliarden sind mit ihrer Musik einzigartig: Texte die zum Nachdenken anregen wie über von den Grauzonen einer Gesellschaft die von Sex, Medizin und Drogen bestimmt ist und die raue, markante Stimme von Ben haben einen großen Wiedererkennungswert. Mit ihrem Song „Freiheit ist ne Hure“ gewinnen sie 2015 einen Bandcontest und wurde auch an diesem Tag gespielt.
„Rolex für Alle“ ist schon mal ein klares Statement. So heißt Disarstars neues, sechstes Album, mit dem der Rapper den Blick auf unsere politische Gegenwart richtet. Disarstars Stimme gehört den Unterdrückten, den Vergessenen, den Obdachlosen. Mit knackigen Punchlines, dunklen, aber tanzbaren Beats begeisterte er sein Publikum. FJØRT stehen seit ihrer Debüt-EP “Demontage” (2012) für einen düsteren, melancholischen, teils schwer verdaulichen Post-Hardcore Sound. “Valhalla” zählt zu den größten Hits der Band. Rapper $oho Bani (bürgerlich Felix von Heymann) aus Berlin bot einen abwechslungsreichen Sound, den man als New-Gen-Rap bezeichnen könnte. Mit dabei auch Party-Brecher wie „Inzidance“ oder „Olympia“
Auf der Electric Island waren u.a. griechische Produzent und DJ Argy, die rumänisch-kanadische DJ und Musikproduzentin Simina Grigoriu (mit Paul Kalkbrenner verheiratet) und die Berliner Techno- und Electro-DJ Ellen Alien vertreten.
Die Jever Hafenbar
In der Jever Hafenbar spielte die fünfköpfige Pop-Punk-/Emo-Band Still Talk, bestehend aus Ben, Lucas, Kevin, Micha und Tanja. Nach einer ausgiebigen Deutschland-Tour 2023 erscheint im Herbst diesen Jahres das Debut-Album der Band, das 11 Songs zählt. Ihre Musik mit Emo, Pop-Punk, Post-Hardcore und Nu-Metal Elementen schaffen so einen außergewöhnlich authentischen Sound, der dennoch vertraut klingt. Die schottische Rock-Band Cold Years spielte an diesem Tag als zweiter Act erdige Klangmischung aus gradliniger Heartland-Rock mit Pop-Appeal und einer Prise Punkrock. Sänger Ross Gordon performte einen kurzen Gig bei den Merch-Sessions. Der Schotte schimpfe: „Fuck UK!“
Salò mit bürgerlichem Namen Andreas Binder, geht nach einigen Sommer-Gigs wie bei Deichbrand im Herbst 2023 auf große Deutschland-Tour. Seit seiner 2019er Single „Tränen zu Wein“ spielt er seinen neuen Musikstil, ein Amalgam aus NDW-Sounds und 90er-Jahre-Trash-Ästhetik. Wiener Schmäh und exzentrische Lyrik (mit Songtiteln wie „Apollonia sitzt bei Edeka an der Kassa“) trafen bei Sàlo auf nostalgische New-Wave-Sounds. Nachts legte zum Abschluss DJ Mats Ludemann auf.
Die neue New Port Bühne
Auch wenn der eine oder andere die Namen googlen musste, auf der New Port Bühne für „neue Künstler“ traten die Wiener Musikerin Rahel, die Singer-Songwriterin und Moderatorin Mele (bürgerlich Marlene Schittenhelm), sowie Musiker und Schauspieler Dominik Hartz auf. Christopher Mede mit seiner Band Sharaktah konnte die Anwesenden begeistern. Auch ein Moshpit war dabei, dem er selber von der Bühne kam. Von ihm wird man sicherlich noch mehr noch hören.